Industrie 4.0 verändert Unternehmenskulturen

25. Februar 2016 Posted by Prof. Rainer Neumann

… und besiegt die Hydra

Teams sind AllrounderTeil 3: Wie wir gesehen haben, bringt der starke Fokus auf Vernetzung, wie er im Bereich von Industrie 4.0 und der Digitalisierung im Allgemeinen besteht, hohe Chancen, aber auch hohe Risiken mit sich. Zuverlässigkeit, Sicherheit und Informationsschutz, sowie die technisch bedingte Erhöhung der Komplexität stellen Unternehmen vor riesige Herausforderungen. Teams müssen nicht nur die Entwicklung eines Produkts, sondern ggf. dessen Produktion und den Betrieb planen und realisieren.

Die domänenübergreifende und globale Vernetzung von Dingen und Diensten, sowie die kürzer werdenden Innovationszyklen erfordern ein flexibles und offenes Denken in Netzen, was unter anderem auch durch die große Popularität von Websites wie Stack Overflow unterstrichen wird. Genau wie Herakles seinen Neffen Iolaos für den Sieg über die Hydra brauchte, so sind Entwickler heute mehr denn je auf die Hilfe weltweiter Netzwerke angewiesen, zumal sie während der Entwicklung kontinuierlich mit bisher unbekannten oder unerwarteten Anforderungen oder Bedingungen konfrontiert werden.

Globales Netzwerk – gewusst wie

Der Normalfall Für Entwickler ist das Arbeiten in einem globalen Netzwerk von Experten längst der Normalfall geworden. Lösungen oder wichtige Hinweise für das Lösen verschiedenster Probleme lassen sich in Foren und Communities finden. Suchmaschinen erschließen einen riesigen Fundus an Wissen zu den unterschiedlichsten Technologien und Produkten, aber zunehmend auch zu nicht-technischen Themen, wie rechtlichen Aspekten, etwa im Bereich der Finanzwirtschaft oder auch des Datenschutzes.

Wissensarbeiter – gewusst wo

Wissensarbeiter sind keine Fachkräfte... Die stark in Mode gekommenen Überwachungsskandale offenbaren aber auch Risiken dieser Art der Arbeit: Wenn ich weiß, nach welchen Technologien, rechtlichen Aspekten und fachlichen Spezifikationen sich bestimmte Firmen umsehen, kann ich mir auch ein sehr genaues Bild davon machen, was und wie die Firmen arbeiten. Die Transparenz und die Vernetzung bergen einmal mehr nicht nur Chancen, sondern auch Risiken für den Schutz geistigen Eigentums in sich. In diesem Kontext ändert sich auch der Begriff des Wissensarbeiters – hätte man vor noch 10 Jahren darin einen fachlichen Experten vermutet, geht es heute vielmehr darum, sich Wissen aus einem globalen Umfeld schnell erschließen zu können. Im Übrigen ist das ein wichtiger Aspekt, der bei der Lehre an Schulen und Hochschulen verstärkt aufgegriffen werden muss: Wie erschließt man sich effektiv Zugang zu verlässlichem Wissen.

Karriere? Warum?

Wertschätzung motiviert vor Karriere Mitarbeiter, die das beherrschen und sich in sozialen Netzen jenseits von Facebook & Co. gut bewegen können, werden in Zukunft das Kernkapital unserer Firmenlandschaft sein. Und: Mitarbeiter die gut vernetzt sind, sind nicht an einzelne Firmen gebunden! Dieses scheinbare Dilemma bringt eine riesige Chance für KMUs mit sich: Die Motivationsforschung zeigt, dass Mitarbeiterbindung im Wissensbereich weniger über finanzielle Anreize und formale Karrierestufen funktioniert. Vielmehr geht es darum, eine Wertschätzung zu erfahren und an sinnvollen Tätigkeiten mitzuarbeiten. Die verhältnismäßig kleinen Strukturen in KMUs und der vergleichsweise hohe Verantwortungsbereich jedes einzelnen Mitarbeiters machen diese Unternehmen für Spezialisten attraktiv. Hierarchien und Karrierestufen verlieren dabei an Bedeutung.

Firmenkulturen werden angepasst

Klassisch produzierende Unternehmen werden Firmenkultur ändern Solche Firmenstrukturen und Denkansätze sind heute allerdings vor allem im IT-nahen Umfeld vorhanden. Der stärkste Wandel wird sich für die klassischen produzierenden Unternehmen ergeben, die jetzt lernen müssen, mit einem zunehmenden IT-Anteil an der Wertschöpfung umzugehen, inklusive der damit verbundenen Arbeits- und Denkwelten. Industrie 4.0 wird von vielen Firmen einen organisatorischen Wandel und eine Anpassung der Firmenkultur fordern.

Was es alles bei Industrie 4.0 zu beachten gilt
LesetippIn diesem Artikel geht unser Gastautor Prof. Rainer Neumann der Frage nach, wie Informations- und Missbrauchsschutz sowie eine funktionale Sicherheit moderner Entwicklung mit einer stabilen, globalen Vernetzung vereinbar wird.

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Was es alles bei Industrie 4.0 zu beachten gilt

18. Februar 2016 Posted by Prof. Rainer Neumann

…. oder der Kampf gegen die Hydra

Teil 2: Wir kennen es bereits aus der griechischen Mythologie, Unterdrückung führt nur zur Ausweitung einer Eskalation Dies gilt auch zu beachten, wenn wir dies auf moderne Entwicklungen übertragen. Die Betrachtung von Industrie 4.0 als vernetzte Entwicklung und vernetzte Produktion vernetzter Produkte offenbart recht deutlich die zentrale Herausforderung, die mit diesem Fortschreiten verbunden ist – Vernetzung!

Die kreative Perspektive

Laternen als NavigationsgeräteBetrachten wir diesen Punkt zunächst aus der kreativen Perspektive einer Produkt- oder Dienstentwicklung und knüpfen an den Blogbeitrag der letzten Woche an: Intelligente Straßenlaternen sind mehr als große Fassungen für Glühbirnen – sie können unter anderem mit Sensoren zur Umgebungserkennung ausgestattet sein. Dadurch ergeben sich große Möglichkeiten für Energieeinsparungen. Die Laterne erkennt, wann es sinnvoll ist zu leuchten und wann nicht. Vernetzen wir mehrere dieser Laternen eines Straßenzugs, dann können diese einen Passanten relativ sicher durch die Nacht führen. Allerdings können wir an Abzweigungen nur schlecht vorhersagen, welche Richtung ein Passant einschlagen möchte. Aber hier hilft natürlich die Stochastik. Ähnlich wie bei Verkehrszählungen können wir die Wahrscheinlichkeit anhand der statistischen Personenströme bewerten. Oder vielleicht geben wir unseren Passanten die Möglichkeit, sich mit den Laternen in Verbindung zu setzen, so dass die Laternen den Passanten wie ein Navigationsgerät leiten können. Und sicher fallen uns noch viele andere Aspekte und Möglichkeiten ein – wir sind ja schließlich kreativ… Die Leute werden unser System lieben und sich irgendwann auch darauf verlassen.

Kritische Anforderungen

Und schon sehen wir uns mit einer ganzen Reihe kritischer Anforderungen konfrontiert:
Konstruktion eines Produkts muss den gesamten Lebenszyklus sicherstellen Wie können wir sicherstellen, dass unser System zuverlässig funktioniert? Was passiert, wenn sich Passanten verletzen, weil unsere Laternen nicht funktionieren? Was bei einer Laterne noch fast lächerlich klingt – sieht man von der amerikanischen Rechtsprechung einmal ab – spätestens bei einem Fahrerassistenzsystem hört der Spaß auf.

Und wenn der Patient mit aufgeschüttelt wird?

Denken wir für einen Moment ein wenig weiter in Richtung flexibler Geräte – nicht biegsame Laternen, sondern flexibel steuerbarer Mehrzweckgeräte, wie etwa einen humanoiden Roboter, den man als Pflegehelfer einsetzen kann: Flexibilität könnte hier heißen, dass der Roboter mit Hilfe einer „Betten-machen-App“ bestückt werden könnte. Funktionale Sicherheit bedeutet dann, dass wir sicherstellen müssen, dass der Roboter nur Bettdecken zusammenfaltet oder aufschüttelt, nicht aber den Patienten, der zufällig noch im Bett liegt. Die Herausforderung ist es, etwas sicherzustellen, an das wir bei der Konstruktion noch nicht gedacht hatten, also eine Denkweise über den gesamten Lebenszyklus unseres Produkts. Hier kommen vielleicht wieder TÜV und Dekra ins Spiel, oder aber andere Arten der Zertifizierung.

Schutz gegen Missbrauch

Fremdsteuerung wird gefährlich Widmen wir uns kurz wieder der Straßenlaterne, um einen weiteren Aspekt zu betrachten. Wenn unsere Laterne Daten mit anderen austauscht und zur Steuerung auch Daten empfängt, müssen wir sicherstellen, dass sie nicht unzulässig fremd gesteuert werden kann – etwa um sie genau dann auszuschalten, wenn man jemanden überfallen möchte. Auch hier ist die Laterne vielleicht noch etwas weit weg, aber das automatische Öffnen einer Haustür im Bereich des Smart Home klingt wahrscheinlich schon bedrohlicher: Wenn die Laternen wissen, dass wenige Leute in einer Straße zu Hause sind – etwa in den Ferien – und dazu die Rasenmähroboter im Netz ihre Fortschritte vermelden, dann ist es wohl der Richtige Zeitpunkt, dem Hausroboter die „Wertsachen-aus-dem-Haus-tragen-App“ zu installieren – zumindest gehen so keine Fenster und Türen kaputt.

Gläsernes Profil

Der gläserne Bürger Das Wissen der Geräte und deren Vernetzung ist unglaublich wertvoll, um optimale Dienstleistungen zu erbringen. Allerdings sind die so gesammelten Datenmengen (Stichwort Big Data) ein idealer Punkt, um durch Verknüpfung mit anderen Daten – Internetnutzung, Stromverbrauch, Häufigkeit der DHL- oder anderer Transporte – ein sehr genaues Profil unserer Bürger zu schaffen. Datenschutz und Maßnahmen zur Informationssicherheit müssen hier auch unter Maßgabe nationaler Spezifika konsequent mitbedacht werden – und nicht nur im privaten Bereich: Das Wissen über die Abnutzung von Maschinen in Fertigungsbetrieben enthält unter Umständen auch nützliche Informationen für die Konkurrenz.

Die Vernetzung als zentraler Bestandteil zwingt also auf jeden Fall zu einer genaueren und konsequenteren Betrachtung der Aspekte Zuverlässigkeit und funktionale Sicherheit, Schutz gegen Missbrauch und Diebstahl sowie Daten- und Informationssicherheit bzw. Datenschutz.

Nächste Woche werde ich mich im dritten und letzten Teil meines Blogbeitrages zum Thema Industrie 4.0 mit den einhergehenden Veränderungen der Unternehmenskulturen und der interkulturellen Zusammenarbeit beschäftigen. Es geht um Eigenverantwortung, Kompetenzen, Entfaltungsmöglichkeiten und Arbeitsqualität. Oberstes Ziel muss sein, zukunftsfähige Lösungen zu schaffen, die weder Arbeitsplätze abbauen noch Arbeitsbedingungen verschlechtern.

Sagt der Rasenmäher zur Laterne
LesetippMaschinen und Dinge kommunizieren miteinander. Produktion, Produkte und Entwicklung vernetzen sich. Das ist Industrie 4.0. Nur ein strapazierter Begriff oder steht die Arbeitswelt endgültig vor einem dramatischen Umbruch? Mit dieser Frage beschäftigt sich unser Gastautor Prof. Rainer Neumann, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Karlsruhe, in diesem Artikel.

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Sagt der Rasenmäher zur Laterne…

12. Februar 2016 Posted by Prof. Rainer Neumann

Industrie 4.0 und die Herausforderungen der Digitalisierung

Chance für Industrie und Gesellschaft
Was klingt, wie der Anfang eines mittelmäßigen Kinderwitzes ist vielleicht schon bald gar nicht mehr abwegig sondern Realität. Die Entwicklung und Vernetzung zunehmend autonomerer Geräte stellt Industrie und Gesellschaft vor große Herausforderungen, bringt aber gleichzeitig auch große Chancen mit sich. Dieser Beitrag beleuchtet einige der zentralen Aspekte unserer aktuellen Entwicklung.

Teil 1 – Des Pudelroboters Kern…

…oder was sich hinter Industrie 4.0 im Kern verbirgt
Es gab in der letzten Zeit wohl nur wenige Schlagworte, die so sehr strapaziert wurden, wie der Begriff der Industrie 4.0 – allerdings gehen die Meinungen darüber, was sich dahinter verbirgt oft weit auseinander.

...schafft optimierte Produktionsprozesse Nimmt man einen rein produktionsbezogenen Standpunkt ein, dann geht es um eine intelligentere und flexiblere Art der Fertigung, also „einfach“ um die Optimierung der Produktionsprozesse und der damit zusammenhängenden Lieferketten. Einige Forschungs- und Entwicklungsprojekte befassen sich genau damit: Der vernetzten Produktion. Allerdings ändern sich durch disruptive Technologien wie etwa dem 3D-Druck die Möglichkeiten der Produktion radikal. Einzelne Teile müssen in Zukunft vielleicht nicht mehr gelagert und geliefert werden, sondern können ad-hoc vor Ort erstellt werden. Dabei zeigt sich gleich ein zentrales Problem: es wird vielleicht nicht ein schwer kopierbares Teil, sondern ein leicht kopierbarer Plan eines Teils geliefert. Das ist in etwa vergleichbar mit dem Wandel in der Musikindustrie. Weg vom Tonträger, hin zum virtuellen Gut, und das mit allen Chancen und Risiken, die sich daraus ergeben.

Rasenmäher diagnostizieren sich selbst

Intelligente Systeme im Aufwind Darüber hinaus reden wir hier nicht mehr von einfachen Produkten, die in einer Fabrik zusammengeschweißt werden, sondern von solchen, die zu einem immer größer werdenden Anteil aus IT-Komponenten bestehen. Die Produkte diagnostizieren sich selbst, erkennen die Umgebung und interagieren mit der Umwelt. Wir sprechen also von vernetzten Produkten. Die intelligente Straßenlaterne, die ihre Umgebung wahrnimmt und der aus der Entfernung steuerbare Rasenmäherroboter sind heute in ihrer Interaktion noch eingeschränkt. Aber die Ansätze für Gerätesteuerungen im Bereich des Smart Homes oder der modernen Assistenzsysteme eines Autos zeigen, dass der Informationsaustausch mit anderen Geräten in Zukunft immer deutlicher zu Tage treten wird. Autonome und flexible, intelligente Systeme werden immer mehr an Bedeutung gewinnen.

Gemeinsam, weltweit entwickeln

Schluss mit Isolation Diese Produkte und die zugehörige Fertigung haben eine so große Komplexität erreicht, dass eine isolierte Entwicklung in einem kleinen Umfeld nahezu undenkbar wird. Nationale Spezifika wie Gesetze oder Vorlieben erhöhen diese Komplexität. Darüber hinaus besitzen die Produkte sowohl auf Hardware- als auch auf Softwareseite in der Regel eine relativ hohe Fertigungstiefe. Diese Komplexität lässt sich meist nicht in lokalen kleinen Teams beherrschen. Es findet also eine vernetzte Entwicklung, getragen durch weltweit verteilte Teams von Experten statt, die Innovation verteilt sich in Netzen.

Vernetzung ist das A und O

Möchte man das Schlagwort Industrie 4.0 also kompakt definieren, funktioniert das wohl am besten mit vernetzter Entwicklung und vernetzter Produktion komplexer, zuverlässiger, flexibler und vernetzter Produkte.

Nächste Woche werde ich mich im zweiten Teil meines Beitrages mit den technischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Herausforderungen von Industrie 4.0 beschäftigen und die Chancen für KMUs näher beleuchten. Der dritte Teil wird dann die Veränderungen der Firmenkulturen und die interkulturelle Zusammenarbeit im Fokus haben.

Internet der Dinge: Der Alltag wird smarter
LesetippDas Internet der Dinge ist mehr als ein Hype und wird in den kommenden Jahren weitreichende Veränderungen im privaten wie auch beruflichen Alltag hervorbringen. Welche, können Sie in diesem Artikel lesen.

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