Posts Tagged: ‘ForTheWeb’

Zum Zustand der Blogosphäre: Goldene Zeiten oder lebt sie gerade noch so?

22. Januar 2020 Posted by Stefan Pfeiffer

Da bin ich per Zufall über zwei Beiträge zum Thema Bloggen und Blogs gestoßen. Thomas Knuewer schreibt auf Indiskretion Ehrensache über die anstehende Verleihung der Goldenen Blogger. Demnach gab es über die Home Page 2.000 Einreichungen und nun wurden Shortlists veröffentlicht, wer die Preise bekommen könnte. Da taucht dann Rezo als möglichen Blogger des Jahres Rezo auf oder Ruprecht Polenz wird als Neuentdeckung nominiert. Doro Bär ist übrigens auch dabei, lieber Gunnar.

Was ist ein Blog? Er muss anregen, informieren, binden, sich lohnen …

Das sieht nach einer bunten Liste und lebendigen Welt aus. Ja, die Definition, wer ein:e Blogger:in ist, welche Formate und was man als Blog bezeichnen kann, ist sicher extrem breit. Das reicht vom YouTube-Blogger bis zum professionellen Blog auf einer Verlagsseite, wie dem von Michael Kroker, der gerade 10 Jahre Bestehen feiern durfte. Da gehört auch der Unternehmensblog dazu, auch wenn der hier und da in ein Magazin transformiert wird. Und beim Goldenen Blogger sind sicher auch Kategorien dabei, die keine Blogs darstellen. Doch die Vielfalt – und ich habe gerade eher traditionelle Blogs genannt- macht aber aus meiner Sicht nichts, denn auch ich bin da für einen sehr pragmatischen Ansatz. Da mag auch ein guter Bekannter auf seiner Webseite schreiben Ceci n’est pas un blog, mir wurscht, Hauptsache es lohnt sich, die Beiträge zu lesen. Es kommt auf den Mehrwert an.

Freie Wahl der Form: Jeder soll, wie sie:er will

Ich habe auch kein Problem mit Fließband-Bloggern, wie sie Henning Uhle genannt hat, die nicht immer oder keine ellenlange Beiträge verfassen: „Fließband-Blogger machen das anders. Das sind alles so Kurzmitteilungen. Geschätzte 100 Worte lang.“ Natürlich Selbstschutz, denn solche Artikel habe ich mir auch partiell angewöhnt. Manche Zitate und Artikel sind einfach zu gut, als dass sie in der ach so flüchtigen Twitter-Timeline auch mir selbst und meinem Gedächtnis verloren gehen sollten. Im „Notizblock“ sind sie gut aufgehoben und wieder auffindbar. Und es passt auch zu meiner Idee und meinem Konzept, Informationen und Beiträge für verschiedene Ziel- und Interessengruppen zu kuratieren.

Eingeschlafene Blogosphäre?

Doch zurück zu Henning Uhle und seinem Beitrag und seiner Frage, ob die Welt der Blogs denn noch existiert. Er sieht auf der einen Seite die Profiblogger, die sich „durchgesetzt“ haben, auf der anderen Seite Leute – die wie auch ich – so vor sich hin wurschteln. Manche sind – wie es auch Henning schreibt – sehr umtriebig, andere Blogs sind eingeschlafen. Einige von mir geschätzte Blogger schreiben nur noch sehr selten, was ich extrem schade finde. Und oft – ich schaue in den Spiegel – mangelt es auch an der Lust und der Zeit, sich mit Themen wie SEO, in Google News eintragen, Promotion über Facebook, Twitter, LinkedIn, Xing, Pinterest, Instagram usw. zu befassen, was vielleicht … vielleicht mehr Reichweite schaffen würde. Ein eigenes Thema, ein eigener Blogbeitrag für sich. Vielleicht bald einmal. Doch jenseits von Reichweite: Es muss die Leidenschaft von innen kommen und in die Tastatur, das Mikrofon oder die Kamera wollen. Mir macht es den Kopf frei und hilft mir (hoffentlich) denken. Oder es muss sich halt monetär lohnen.

Blogger:innen: Mehr Bäume miteinander pflanzen

„Wir müssen uns immer vor Augen halten, dass Blogs nie als Nachrichten-Portale oder als Goldesel gedacht waren,“ schreibt Henning Uhle und fordert dazu auf, dass Blogger wieder mehr Bäume miteinander ausreißen sollten. Nun kann ich es mir nicht verkneifen und zu verschlimmbessern: Lasst uns lieber mehr Bäume zusammen pflanzen. Bin ich dafür. „Da simmer dabei, dat ist prima …“

Eine vielfältige Blogosphäre finde ich anregend, auch wenn man sich natürlich in seinen Filterblasen bewegt. Es gilt die Ohren und Augen aufhalten und auch mal Ping-Pong spielen, wie es der Gunnar und ich bewusst tun. Sich gegenseitig verlinken und zitieren. Aber, wie gesagt, oft sind wir in unserer Filterblase und in „Special Interest Groups“, auch wenn die manchmal gar nicht so „special“ sind, die Interessen. Und wenn eine wenn auch sehr kleine, regelmäßige, aktive Hörer- und Leserschaft wie bei #9vor9 dabei ist und mitzwitschtert, gehören die für mich auch zum Netz und sind ein Grund, warum wir das machen.

Alles, was hilft, ist willkommen. Das können Bloggerverzeichnisse und Plattfiormen sein. Und wenn Initiativen wie die Goldene Blogger:in unabhängig und möglichst Aufmerksamkeit erzeugen, „be my guest“ … Auch wenn es ein bisschen Boulevard ist. Oder ist denn die re:publica immer noch das Treffen der Blogosphäre, so wie sie mal vor mehr als 10 Jahren gestartet hat? Ideen, Blogs wieder Sauerstoff einzuführen, sind immer willkommen.

Lassen wir uns Blogs und soziale Kanäle nicht kaputt machen

Was mir wichtig ist, dass es noch immer Leute gibt, die sich engagiert äußern und Blogs wie auch andere soziale Kanäle mit Kopf, Versand, Emotion, Diskussion, Respekt und Toleranz leben. Das brauchen wir, um all dem Hass und er Intoleranz entgegen zu treten. Es ist für mich unverständlich und nicht akzeptabel, wenn Trolle eine Crowdfunding-Sendung wie die, die Gunnar am Sonntag für eine Betroffene in Australien organisiert hat, kapern und zu-spam-en. Das macht mich betroffen (ich weiß, Unwort) und wütend. Aber wir sollten uns von solchen Leuten und Exzessen nicht die Laune verderben lassen. Wir sollten uns und vor allem auch anderen Nutzern Blogs und soziale Kanäle nicht kaputt machen und schlecht reden lassen. Alles, was dabei hilft, ist mehr als willkommen.

Gestern war ein sonniger Tag und ich habe mich, obwohl ich erkältet war, auf 15 Minuten Diskussion und anschließendes Gezwitschere mit Lars, Gunnar, Peter, Sven und anderen gefreut. Und das lassen wir uns bitte nicht kaputt machen. Das hätten die Deppen vielleicht gerne.

(Stefan Pfeiffer)

Bild von Tanja-Denise Schantz auf Pixabay

Digital naiv!? Gedanken und Regeln für das “Mitmach-Web” in der Kristallkugel für 2010

10. Januar 2020 Posted by Stefan Pfeiffer

Beim Surfen durch meine olle Blogbeiträge unter dem Motto „Heute vor 10 Jahren“ bin ich Kristallkugel 2010: Marketing „benutzt“ das Web 2.0 gestoßen, einen Ausblick zum Jahresbeginn, den ich auf Wunsch von „Stäbchen“ Thorsten Zörner geschrieben habe. Tja, was soll ich schreiben. Ich komme mir heute grenzenlos optimistisch vor, denn ich vertrete dort offensiv die Idee des Mitmach-Webs, des „Web 2.0“. Wenn man sich manche Entwicklung seitdem anschaut, muss man wohl sagen wirklich etwas „digital naiv“, wie ja dieser Blog mal hieß und wie ich noch auf Twitter unterwegs bin.

„Damals“ standen wir in den Anfängen des sogenannten Social Media Marketings und ich habe davor gewarnt, dass Unternehmen und Agenturen dort nur Werbebotschaften raus blasen, dass wir „viele BILD-ende, marktschreierische Aktionen und Kampagnen im Web erleben, die das eigentliche Prinzip des Mitmach-Webs ad absurdum führen werden„. So ist es sicherlich auch gekommen. Die politische Instrumentalisierung der sozialen Medien habe ich damals allerdings nicht voraus gesehen, die „Selbstreinigungskräfte des Web 2.0“ überschätzt.

Doch nicht nur ich: Nicht umsonst hat Tim Berners-Lee, Erfinder des WWW, 2018 die Initiative #ForTheWeb ausgerufen: „Jeder Einzelne ist dafür verantwortlich, das Web zu einem besseren Ort zu machen“. Heute – nur wenige Monate später – stockt angesichts des Hasses einmal mehr der Atem.

Tja, der bessere Ort: Im Beitrag vom 7. Dezember 2009 habe ich versucht, einige Regeln im und für das Mitmach-Web runter zu schreiben, die wir auch in Workshops auf den DNUGs und anderswo diskutiert haben.

  • Sei aktuell.
  • Sei relevant und biete Qualität.
  • Sei – wo sinnvoll – originell und witzig. (Ich weiß, schwierig)
  • Sei authentisch und persönlich.
  • Denk dran: Das Web 2.0 ist freiwillig.
  • Höre zu. (Ganz wichtig!)
  • Sei bereit für offene, fairen Diskurs, für Diskussion und Interaktion.
  • Sei kritikfähig.

Dazu stehe ich immer noch. Und es klingt und ist idealistisch. Halt digital naiv. Aber ich, wir sollten uns nicht so einfach „das Netz“ kaputt und unsere Stimmung durch Hass und Kommerz kaputt machen lassen.

(Stefan Pfeiffer)

Digital naiv!? Gedanken und Regeln für das “Mitmach-Web” in der Kristallkugel für 2010

10. Januar 2020 Posted by Stefan Pfeiffer

Beim Surfen durch meine olle Blogbeiträge unter dem Motto „Heute vor 10 Jahren“ bin ich Kristallkugel 2010: Marketing „benutzt“ das Web 2.0 gestoßen, einen Ausblick zum Jahresbeginn, den ich auf Wunsch von „Stäbchen“ Thorsten Zörner geschrieben habe. Tja, was soll ich schreiben. Ich komme mir heute grenzenlos optimistisch vor, denn ich vertrete dort offensiv die Idee des Mitmach-Webs, des „Web 2.0“. Wenn man sich manche Entwicklung seitdem anschaut, muss man wohl sagen wirklich etwas „digital naiv“, wie ja dieser Blog mal hieß und wie ich noch auf Twitter unterwegs bin.

„Damals“ standen wir in den Anfängen des sogenannten Social Media Marketings und ich habe davor gewarnt, dass Unternehmen und Agenturen dort nur Werbebotschaften raus blasen, dass wir „viele BILD-ende, marktschreierische Aktionen und Kampagnen im Web erleben, die das eigentliche Prinzip des Mitmach-Webs ad absurdum führen werden„. So ist es sicherlich auch gekommen. Die politische Instrumentalisierung der sozialen Medien habe ich damals allerdings nicht voraus gesehen, die „Selbstreinigungskräfte des Web 2.0“ überschätzt.

Doch nicht nur ich: Nicht umsonst hat Tim Berners-Lee, Erfinder des WWW, 2018 die Initiative #ForTheWeb ausgerufen: „Jeder Einzelne ist dafür verantwortlich, das Web zu einem besseren Ort zu machen“. Heute – nur wenige Monate später – stockt angesichts des Hasses einmal mehr der Atem.

Tja, der bessere Ort: Im Beitrag vom 7. Dezember 2009 habe ich versucht, einige Regeln im und für das Mitmach-Web runter zu schreiben, die wir auch in Workshops auf den DNUGs und anderswo diskutiert haben.

  • Sei aktuell.
  • Sei relevant und biete Qualität.
  • Sei – wo sinnvoll – originell und witzig. (Ich weiß, schwierig)
  • Sei authentisch und persönlich.
  • Denk dran: Das Web 2.0 ist freiwillig.
  • Höre zu. (Ganz wichtig!)
  • Sei bereit für offene, fairen Diskurs, für Diskussion und Interaktion.
  • Sei kritikfähig.

Dazu stehe ich immer noch. Und es klingt und ist idealistisch. Halt digital naiv. Aber ich, wir sollten uns nicht so einfach „das Netz“ kaputt und unsere Stimmung durch Hass und Kommerz kaputt machen lassen.

(Stefan Pfeiffer)

Ja, wir brauchen Solidarität mit Politikern, die Flagge zeigen, aber wir brauchen noch viel mehr – Replik auf Gustav Seibt

21. Juni 2019 Posted by Stefan Pfeiffer

Ich erinnere mich noch gut an meine Zeit als freier Journalist bei der WNZ, wo ich das Handwerk lernte und mir einige Mark dazu verdiente. Nach kurzer Zeit lernte ich die Lokalpolitiker und deren Alltagsgeschäft näher kennen. Mehrere Abende – meist am Freitag oder Wochenende – habe ich den damaligen Landrat Gerhard Bökel quasi verfolgt … von einer Karnevalssitzung zur nächsten. Drei oder vier Sitzungen haben wir gemeinsame besucht. Eigentlich hätten wir ein Auto nehmen können.

Oder ich habe über die Lokalpolitik in meinem Heimatort –  4 Orte, die zu einer Stadt zusammengeschlossen wurden – berichtet und beobachtet. Sehr oft ging es dort doch nach dem Motto, wenn Du dem Bau des Sportplatzes in Ort A zustimmst, bekommt Ort B im kommenden Jahr das Feuerwehrhaus durchgewunken. Persönlicher Höhepunkt war dann vor einer Kommunalwahl, als Vertreter dreier unterschiedlicher Parteien mich fragten, ob ich nicht für sie kandidieren wolle.

Lokalpolitik ist auch hartes Brot. Man lernt das Geben und Nehmen und die Kunst des politischen Kompromisses, auch etwas die Interessenpolitik und das Geschachere. Doch Lokalpolitik ist notwendig. Man ist ganz nahe am Bürger und kann direkt vor Ort wirken und auch Ergebnisse sehen. Wie viele andere habe ich mich aber nicht durch gerungen, mich lokal in der Politik und in einer Partei zu engagieren. Vielleicht habe ich mich als zu gut dafür gehalten oder manche Kleingeisterei hat mich abgeschreckt. Ist jetzt auch egal.

Was nicht erst seit dem Mord an Lübcke erschreckend ist, ist jedoch, dass Lokalpolitiker/innen und Politiker/innen generell mit Schmutz beworfen, nicht mehr nur verbal sondern auch real angegriffen werden. Gustav Seibt – deutscher Historiker, Literaturkritiker, Schriftsteller und Journalist – hat das Thema in der Süddeutschen Zeitung in einem ausführlichen Artikel aufgegriffen.

An der Basis ist unser politisches System ziemlich wehrlos. Sollen sich Bürgermeister und Landräte nicht mehr auf Dorffeste trauen können, wenn sie Entscheidungen treffen, die einem radikalisierten Teil der Bürgerschaft nicht gefallen? Das hätte verheerende Folgen fürs Funktionieren von Politik und kommunaler Selbstverwaltung.

Er schließt seinen Beitrag mit folgendem Satz:

Wenn Politiker vor Ort bedroht, gar ermordet werden, wenn die Grundvoraussetzung der Ordnung, das staatliche Gewaltmonopol herausgefordert wird, dann ist es Zeit für eine Solidarität, die sich nicht im Symbolischen erschöpft.

über Kriminalität: Und wenn keiner mehr den Job machen will? – Kultur – Süddeutsche.de

Das kann ich nur unterschreiben. Und es gilt nicht nur für Politiker/innen, sondern auch für  Meinungsführer/innen und Journalisten/innen wie eine Ferda Ataman oder eine Dunya Hayali. Das sollte nicht sein. Das kann nicht sein. Da muss man sich solidarisch erklären und das auch bekunden. Und die Angriffe müssen auch strafrechtlich verfolgt werden.

Ich persönlich weiß nicht, ob ich diese Art und den Ton der verbalen Anfeindungen, der Gossensprache und des blanken Hasses und der Dummheit ertragen könnte und wie schnell ich in meiner Höhle verschwinden, in meiner Privattheit abtauchen und mich zurückziehen würde. Ich kann nochmals den Hut vor allen ziehen, die Flagge zeigen und gegen halten.

Doch wie erklärt man sich solidarisch? Wie zeigt man Flagge? Gustav Seibt als ein klassischer Vertreter seiner, äh meiner Generation fordert dazu auf, in die Parteien zu gehen und sich dort zu engagieren. Sich nur mal im Netz und in den sozialen Medien zu äußern, reiche nicht aus, ja sei nur eine Art Symbolik und Ersatzpolitik, Das florierende Genre der Social-Media-Kritik kennzeichnet er als hinterwäldlerisch.

Na ja, umgedreht sehe ich in diesen Aussagen von Seibt auch etwas Hinterwäldlerisches. Gerade meine, unsere Generation, auch die politischen Parteien haben noch immer nicht verstanden, dass „das Netz“ in all seinen negativen wie auch positiven Ausprägungen heute politische Realität und auch Ort der politischen Manifestation und Bildung von Meinung ist. Die Meinungsmacht verlagert sich langsam aber sicher ins Netz, wie eine aktuelle Studie gerade (wieder) bestätigt. Das sollte man einfach so abtun, schlecht reden, sondern vielmehr überlegen, wie man „das Netz“ für demokratische Kräfte zurückerobert und in den politischen Diskurs konstruktiver integriert.

Politische Meinungsbildung findet heute nicht mehr nur in der Süddeutschen, FAZ oder in der BILD statt. Es reicht nicht mehr nur, seine Birne in die Fernsehkameras von ARD und ZDF zu halten und damit hat man „die Wähler“ erreicht. „Das Netz“ ist gerade bei den Jüngeren gesetzt. Und Ihr ewig Gestrigen seht das endlich mal ein und lasst uns gemeinsam die Chancen ergreifen und die Auswüchse konsequent bekämpfen! Wir dürfen „das Netz“ nicht der AfD, anderen politisch extremen Strömungen oder auch Datenkraken und -monopolen überlassen. Dort, im Netz, entscheidet sich einer großer Teile unserer politischen Zukunft.

Und den Ausspruch und die Aufforderung mal brav wieder in Parteien zu gehen und sich dort zu engagieren, kann ich persönlich zugegebenermaßen auch kaum noch hören. Bis auf eine Partei, die gerade „ge-hyped“ wird und deren Mitglieder und Politiker bald in der regierenden Realpolitik harten Herausforderungen an ihr Selbstverständnis begegnen werden, stoßen mich (und viele andere) die etablierten Parteien immer wieder und sehr konsequent ab. Klöckner und Nestlé oder Unionsfreund Scheuer und seine Verschwörungstheorien sind ebenso abtörnend wie das Versagen in der SPD oder die wirren neoliberalen Sprüche von Politikprofi Lindner.

Wenn Parteien wieder mehr Mitglieder haben wollen, müssen sie sich ändern, im Verhalten ihrer Führungsspitze, wie auch in den Möglichkeiten, sich gegenüber politisch Interessierten zu öffnen und diese in Diskussionen einzubinden. Ich zweifele daran, dass „die Parteien“ derzeit „die junge Generation“, die gerade bei Fridays for Future demonstriert oder sich das Rezo-Video „reinzieht“, abholen kann und wird.

Gerade aber „die Jüngeren“ braucht unsere Demokratie. Die haben durchaus – um mit dem Video der DFB Fußballfrauen zu sprechen – nicht nur Eier in der Hose, sondern auch einen Pferdeschwanz. Sie gehen nämlich auf die Straße und zeigen Flagge, etwas was meine, unsere Generation aus vielen von Seibt beschriebenen Gründen nicht mehr oder zu wenig tut. „Diese Jungen“ machen mir echt Mut. Der Pöbel von AfD und Konsorten macht mir Angst.

Relevante Fragen sind also aus meiner Sicht:

  • Wie öffnen wir „die Politik“ wieder für die jüngere Generation und ermögliche ihnen aktive Partizipation auch jenseits der gewohnten Parteipolitik und -zugehörigkeit?
  • Wie öffnen sich „die Parteien“ für politisch Interessierte, Jüngere und Ältere, und schrecken nicht nur ab?
  • Wie integrieren wir „das Netz“ konstruktiv in die politische Diskussion, statt es als Hort der Verdammnis Radikalen und Kommerz zu überlassen?

In diesen Fragen spielt meiner Meinung nach viel Musik.

(Stefan Pfeiffer)

 

Parteien und das Netz heute: „Völlig losgelöst, von der Erde, zieht …“ – ein „Pressespiegel“ #ForTheWeb

31. Mai 2019 Posted by Stefan Pfeiffer

Die Äußerungen von AKK zur Regulierung von Meinungsäußerungen im Internet vor Wahlen habe ich ja hier im Blog kritisiert. Ein Zensur kann und darf es nicht geben, wenn Meinung sich im Rahmen unserer Grundwerte bewegen. Und das tut Rezo. Punkt.

Doch sind die Ereignisse darüber hinaus sehr relevant. Die heutige Politik ist völlig losgelöst von der Erde und von vor allem der jüngeren Generation. Hier einige aus meiner Sicht relevante Zitate von Bloggern, Journalisten, Politikern, kurz nicht nur netzpolitisch Engagierten.

Marvin Strathmann schreibt pointiert, höhnisch und treffend auf heise zu AKK:

Sie wundert sich, warum denn in Deutschland jeder seine Meinung sagen darf. Einfach so. Ohne vorher die CDU zu fragen. Und das auch noch in diesem Internet.

Damit greift Kramp-Karrenbauer die Grundlage unserer Freiheit an: das Grundgesetz und die Meinungsfreiheit.

über Kommentar zu AKKs Netz-Schelte: Ein Angriff auf die Grundlage jeder Freiheit | heise online

Die Aussagen von AKK mögen – wie es „Digitalministerin“ Doro Bär sagt – unglücklich sein, zeugen aber auch von einer Ignoranz und Unkenntnis der nicht mehr ganz so neuen sozialen Medien, die erschreckend ist. Leider sehr wahr, was CSU-Bär im Interview der FAZ sagt:

Die Debatten laufen einfach auf Plattformen, von denen der normale F.A.Z.-Leser ebenso wenig Notiz nimmt wie der normale Politiker, der seinen Pressespiegel liest.

über Rezo-Video: „Jugendliche wollen kein endloses Gerede“

Philipp Jessen, Geschäftsführer von Storymachine, stellt im Tagesspiegel fest, dass der Pressespiegel heilig ist, die durchaus lebhafte Diskussion nicht der Jüngeren auf den sozialen Kanälen von etablierten Politikern oft gar nicht wahrgenommen wird. Aus Ignoranz. Aus Unkenntnis. Aus Verharren auch in einem System Merkel (so viel durchaus Gutes die Kanzlerin getan hat).

„Die Jugend“ ist wieder politischer, aber keiner geht hin. Oder keiner der etablierten Parteien hört zu und pflegt einen Dialog. Philipp Jessen nochmals:

Was zu tun ist? Nicht aktivistisch ein paar hippe Leute einstellen. Ein paar Flachbildfernseher an die Wand hängen und Newsroom spielen. Sondern die gesamte Kommunikation überdenken. … Aber vor allem: Den Kern von Social Media endlich verstehen und leben: Dialog. Augenhöhe. Echtzeit. Haltung. Klarheit.

über Warum Politik Social Media nicht versteht – Tagesspiegel Background

Und vor allem das Feld nicht dem Gepöbel und Rechtspopulismus der AfD und anderer Radikaler überlassen. Die AfD scheint die einzige Partei zu sei, die die Klaviatur des Netzes spielt, wie es Thomas Knüwer analysiert:

Aktiv posteten AFD-Anhänger ihre Präferenzen, sehr aktiv mischten sie sich in Diskussionen ein. Die Erzählweise war homogen: Die AFD ist die einzige Partei, die einfache Bürger verteidigt, die Grünen sind weltfremd, wer AFD wählt ist mutig, wer die AFD kritisiert ein Idiot. Und natürlich: Die AFD ist keine Nazi-Partei. …

Anhänger anderer Parteien waren kaum zu sehen und wenn, wurden sie direkt niederkommentiert.

über Die Unterschätzung des digitalen Raumes durch Politik und Medien – Indiskretion Ehrensache

Die anderen Parteien finden in den sozialen Medien nicht statt. Stattdessen tröten AfD, Trump und deren Geistesgenossen in eine laut im Netz zu vernehmende Trompete. Traurig, Tragisch. Nicht akzeptabel. Es gibt wichtige und relevante Themen jenseits von AfD-Geschwafele und von Trump-Triaden, die durchaus auf YouTube, Twitter oder Facebook konstruktiv diskutiert werden.

Doch die althergebrachten Parteien versagen nicht nur im Netz. Sie nehmen vor allem „die Jugend“ und „das Netz“ nicht ernst. Sie nehmen auch die Inhalte nicht ernst (genug), die von vielen politisch Interessierten und auf Demos vertreten werden. „Das Netz“ ist weiter „Neuland“, nein eher Moria, die dunklen Lande, ein Ausbund des Bösen, das bekämpft, reguliert, ja zensiert werden muss. Das Kind wird dabei mit der Wanne ausgekippt. Russische und andersländische Trolle oder Meinungsmache und Kampagnen Radikaler werden vorgeschoben, um nicht konstruktiv im und mit dem Netz, vor allem mit Jugendlichen und politisch Interessierten auf Augenhöhe zu kommunizieren.

Sascha Lobo bringt es auf den Punkt;

Es geht nicht um das Medium, sondern um politische Inhalte, um das Fortbestehen des Planeten etwa. Aber auch um das Vertrauen, das die Union zerstörte durch ihre komplette Missachtung einer digitalen Generation, indem sie ohne Rücksicht, ohne Dialog, ohne Sachverstand oder auch nur Respekt die Urheberrechtsreform durchgeprügelt hat.

über Annegret Kramp-Karrenbauer und das Rezo-Phänomen: Marathon im Fettnapf – SPIEGEL ONLINE

Ich muss an eine Talkshow, in der sich FDP-Lindner mit Grünen-Habeck auseinandergesetzt hat und Lindner in seiner gewohnt arroganten Art nationale Initiativen im Bereich Umweltschutz und Klimawandel als unsinnig, weil nur national nicht wirksam, abkanzelte und von den Grünen als „Klimanationalisten“ sprach. Ob sich das Jugendliche ernst genommen fühlen. Er setzt ja noch einen drauf:

Hier zeigt sich eine Einstellung und die erwähnte Arroganz vieler „Berufspolitiker“: Ihr habt ja keine Ahnung. Lasst uns mal machen.

Habt „Ihr Politiker“ denn noch immer nicht verstanden, dass Ihr genau dadurch „die Jugend“ verliert?

Axel Voss, Christian Lindner, Annegret Kramp-Karrenbauer und viele andere bornierte (oft) Berufspolitiker alter Schule sind dafür verantwortlich, dass sich die Jugendlichen von ihren Parteien und der bisherigen Parteienpolitik und ignoranter Berufspolitiker abwenden. Die Jugendlichen sind nicht für die Gestaltung unserer Gesellschaft verloren. Sie haben Werte. Sie engagieren sich. Wo und wie sie sich aber in unserer Demokratie wie verorten, das ist noch ein spannendes Thema.

Thomas Knüwer hat eine interessante Analyse geschrieben und dabei einige neuralgische Zonen zerpflückt. Er fordert eine Reform, die aus meiner Sicht dringend notwendig ist:

Was wir eigentlich bräuchten, wäre ein Aufstand der Demokratiewilligen in den Institutionen, in Parteien, parteinahen Vereinen und genauso in Medien. Eine Art Mondays for Future (meinetwegen auch jeden anderen Wochentag), also Tage, an denen diese Menschen auf die Barrikaden gehen, die Gestrigen zur Aufgabe fordern um Platz zu machen für jene, die noch etwas bewegen und nicht den Niedergang verwalten wollen.

über Die Unterschätzung des digitalen Raumes durch Politik und Medien – Indiskretion Ehrensache

Was mir dabei fehlt ist natürlich, dass wir dies zusammen mit der #FridaysForFuture-Bewegung und anderen politischen Initiativen und Aktiven tun sollten. Es braucht eine Allianz derjenigen, die sich schon lange im  Netz engagieren – inklusive der alternden Schlagersänger der Netzszene – und der aktiven Jüngeren. Dabei würden und werden sicher die Fetzen fliegen, aber das ist notwendig, ein Stück gelebter Demokratie.

Nachtrag: Bemerkenswert finde ich die Auflistung  der gescheiterten Digitalprojekte der Bundesregierung des letzten 15 Jahre Merkel von E-Government, Netzsperren bis Leistungsschutzrecht, die Sascha Lobo zusammengetragen hat. Auch das zeigt das Unverständnis und Versagen der alten Parteien und Berufspolitiker:

In dunklen Ecken des Internets sagt man dazu: Was der Bund im Digitalen anfasst, wird zu Stuhl.

über Annegret Kramp-Karrenbauer und das Rezo-Phänomen: Marathon im Fettnapf – SPIEGEL ONLINE

(Stefan Pfeiffer)

P.S. Ganz anderer Nachtrag: Jenseits von Politik und Pressespiegel: Denken wir mal daran, wie Kommunikation heute noch in vielen Unternehmen läuft. Sehen wir da Parallelen?????

Lesezeichen: „Die nie endende Reparatur des Internets“ – @AlaArmbruster – #ForTheWeb

20. Januar 2019 Posted by Stefan Pfeiffer

In der DIGITAL-Beilage der FAZ zur DLD Konferenz in München hat Armin Armbruster einen lesenswerten Beitrag zum Status und der Zukunft des World Wide Webs geschrieben. Derzeit erleben wir ja gerade eine Krisenphase, eine Zeit, in der die Verwertung oder Missbrauch von Daten, Privatsphäre und Hasskommentare und „Fake News“ in sozialen Kanäle, ja die Mechanismen des Netzes generell infrage gestellt werden. 1984 lässt grüssen.

Und an die Seite des großen Freiheitsversprechens, wonach das Internet das Individuelle stärkt und jeden Einzelnen ermächtigt gegenüber den ihn oder sie umgebenden Institutionen (Staat und Unternehmen), ist die Warnung getreten, dass vielleicht genau das Gegenteil dessen längst geschehen ist und weiter geschieht: dass Staaten und Weltkonzerne viel besser und effizienter das Verhalten unzähliger einzelner Menschen beeinflussen können als je zuvor.

über Die nie endende Reparatur des Internets – FAZ

Vielleicht ist es aber ein normaler Zyklus, eine normale Krise, auf der eine Rückbesinnung folgt, wie es Hirnforscher Wolf Singer meint.

Das Internet bedürfe der Reparatur, schreibt Armbruster. Ich finde das Bild treffend. Vielleicht würde ich es etwas anders formulieren. Das Internet muss gewartet werden und bedarf regelmäßiger Inspektion. Und an einigen Stellen braucht es sicherlich den TÜV, die DSGVO und andere Regeln, damit das Fahrzeug auch sicher ist. Aber aufgeben sollten wir das Netz keinesfalls. Es ist eine Realität, die nicht weggehen wird. Auch wenn manche Tim Berners-Lee als naiv bezeichnen: Ich bin bei ihm. Wir alle müssen ständig daran arbeiten, für ein offenes Internet als Grundrecht. Und ja, das Internet ist nicht perfekt, kann und soll es nicht sein. Es erfordert ständige Aufmerksamkeit und Arbeit.

(Stefan Pfeiffer)

 

Lesezeichen: Gläsern ODER ein Tag in Deinem Leben, erzählt von Google | NZZ

31. Dezember 2018 Posted by Stefan Pfeiffer

Danke an Michael Prokop, durch dessen Tweet ich auf den Beitrag in der NZZ von Reto Stauffacher aufmerksam geworden bin. Er hat Mitte 2018 einen Test gemacht und eine Woche lang sämtliche Daten ausgewertet, die Google über ihn gesammelt hat. Einfach seinen von Google dokumentierten Tagesablauf lesen und dann überlegen, warum besser Firefox als Browser und Qwant, Ecosia oder DuckDuckGo als Suchmaschine nutzen sollte. Jeder kann seine Daten übrigens einsehen, wie Reto am Ende des Artikels schreibt:

Das Aktivitätenprotokoll und den Zeitstrahl der besuchten Orte kann jeder angemeldete Google-Nutzer selber einsehen:

Aktivitätenprotokoll: myactivity.google.com/myactivity

Zeitstrahl: google.com/maps/timeline

über Ein Tag in meinem Leben. Erzählt von der Google-Datenspur. | NZZ

Und Reto stellt folgende Frage:

Warum beschäftigen wir Journalisten uns (meist zurecht) so intensiv mit Facebooks Datensammlerei, hingegen kaum mit derjenigen von Google? …

Für Facebook steht, vereinfacht gesagt, das langfristige Sammeln von Nutzerdaten im Zentrum. Denn nur wenn der Konzern die Präferenzen und Wünsche seiner Nutzer gut kennt («Was gefällt ihm?», «Wie fühlt er sich?»), kann er auch entsprechende Werbung schalten.

Google dagegen verdient den Grossteil seiner Milliarden mit Werbeanzeigen, die an Suchwörter gekoppelt sind.

über Ein Tag in meinem Leben. Erzählt von der Google-Datenspur. | NZZ

Na ja, für mich Pest und Cholera. Sicher hat Facebook in 2018 mehr Aufmerksamkeit im negativen Sinne erregt und Google und ein Dritter im Bunde – Amazon – sind wohl in den Hintergrund getreten.

Und um es nochmals klar zu schreiben, gerade weil ich in den vergangenen Wochen leider viele negative Berichte zum „Netz“ und sozialen Medien veröffentlicht habe. Ich bin weiter der Meinung, dass das freie Netz positiv, ja unverzichtbar ist und Aufklärung, Diskussion und konstruktiver Meinungsaustausch fördern kann, ja muss. Jedoch müssen wir alle individuell dafür eintreten wie es auch Tim Lee-Berners in seiner Initiative fordert, eintreten, indem wir Alternativen nutzen und promoten sowie streitbar #ForTheWeb sind.

(Stefan Pfeiffer)

„DSGVO könnte die Bemühungen um ein neues Internet und eine höhere Datensouveränität unterstützen“ | Jürgen Litz

17. Dezember 2018 Posted by Stefan Pfeiffer

Ganz sicher gibt es Dinge, die in der Umsetzung und Gestaltung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) verbessert werden können und müssen. Doch die DSGVO bietet auch Chancen – und das wird sogar im Silicon Valley bemerkt, Johannes Ceh hat sich mit Jürgen Litz, Geschäftsführer des CRM-Anbieters cobra, dazu unterhalten:

Die DSGVO ist nicht nur Totengräber für Unternehmen, die den Datenschutz nicht ganz so ernst genommen haben. Man glaubt es kaum: Die DSGVO kann auch Geburtshelfer und Export-Produkt sein. … Die DSGVO könnte in noch größerem Rahmen ins Spiel kommen. Sie könnte die Bemühungen um ein neues Internet und eine höhere Datensouveränität unterstützen.

über DSGVO: Starthilfe für ein neues Internet? | LEAD

In dieses Horn, ja darüber hinaus stieß auch der ehemalige Berater von Hillary Clinton am 4. Dezember 2018 auf einer netzpolitischen Soiree der grünen Bundestagsfraktion in Berlin, berichtet heise online:

Nicht die Russen haben Donald Trump ins Weiße Haus gebracht, sondern der von sozialen Netzwerken und digitalen Technologien vorangetriebene Wandel der Öffentlichkeit, ist sich Ben Scott aus dem Vorstand der Stiftung neue Verantwortung sicher. Auf Facebook, Google oder Twitter sähen alle Nachrichtenquellen gleich aus, sodass „wir nicht mehr zwischen wahr und falsch unterscheiden können“, …  Die EU müsse den Online-Markt daher im Kampf gegen Desinformation und Filterblasen ähnlich scharf regulieren wie mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO).

über Hacked Democracy: Ruf nach einer DSGVO gegen Fake News und Filterblasen | heise online

Sascha Lobo hat ja vor kurzem über die Trolle-Armeen und Bots aus Russland geschrieben. Und auch andere Nepper, Schlepper und Bauernfänger missbrauchen vor allem die sozialen Medien, um zu manipulieren und zu agitieren. Die Antwort, wie wir das zumindest eindämmen können, haben wir aus meiner Sicht noch nicht gefunden. Auch wenn es ein normaler Zyklus in der Entwicklung der sozialen Medien sein mag, wie es Hirnforscher Wolf Singer im Interview mit der FAZ sagt können wir alle nicht tatenlos zuschauen.

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), mit dem Anbieter sozialer Medien angewiesen werden, Hasskommentare zu löschen, ist durchaus umstritten. Und wenige scheinen es zu nutzen. Nur 704 online eingebene Meldungen sind bis Ende November beim Bundesamt für Justiz (BfJ) laut „Handelsblatt“ eingegangen. Man hatte mit rund 25.000 Meldungen und 500 Bußgeldverfahren pro Jahr gerechnet.

Der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit, David Kaye, spricht vom „Outsourcing“ rechtsstaatlicher Kernprinzipien wie eine richterliche Kontrolle über Meinungsäußerungen an Plattformbetreiber und fordert so immanent, dass staatliche bzw. richterliche Instanzen die Aufgabe wahrnehmen sollten. Natürlich ist es ein schmaler Grat und andere werden vor der durchaus vorhandenen Gefahr von Zensur warnen.

Das Thema bleibt aktuell und muss diskutiert werden. Die nächsten Wahlen sind nicht fern. Und auch die Gefahr der Manipulation im Alltag bleibt bestehen. Neben einem wirkungsvollen Instrument, einem NetzDG, auf den sich die Mehrheit einigen und die Propaganda stärker unterbindet, braucht es auch mehr Transparenz und Kontrolle der Algorithmen und der Datenkraken. Diese Fragen beziehungsweise Bedrohungen gehören zur Digitalisierung und Digitalen Transformation dazu, ob wir es wollen oder nicht.

(Stefan Pfeiffer)

 

 

 

Wild, kreuz und quer, rein subjektiv in der FAZ gelesen: Böse soziale Medien, Linksliberale sind schuld an allem, Digitalisierung und Merkel-Jahre – und, und, und …

24. November 2018 Posted by Stefan Pfeiffer

Ich habe eine emotionale Beziehung zur Frankfurter Allgemeinen. Als Student und angehender Journalist durfte ich dank Dietrich Ratzke dort ein Praktikum in der Neue Medien-Redaktion – ja, gab es mal, da wurden BTX, Radio und Fernsehen „gemacht“ absolvieren. Doch diesmal haben mir einige Journalisten der FAZ dem Samstag morgen versaut.

Herausgeber (!!) Holger Steltzner kommentiert auf Seite 1:

Bis vor kurzem bildeten Fakten die Grundlage für einen rationalen Diskurs. Heute ist das anders. Liegt das vielleicht daran, dass die Hysterie aus den sozialen Netzwerken, in denen sich alle ständig aufregen und Verschwörungstheorien besonders gut ankommen, auf die politischen Debatten des Landes überschwappt? Man darf Fakten als „Fake News“ verunglimpfen, solange man auf der „richtigen“ Seite steht.

über Kommentar zu Hartz-IV: Politik mit Flüchtlingskindern – FAZ

Und wieder sind die bösen sozialen Medien schuld. Ich kann es bald nicht mehr hören. Im 19. Jahrhundert war die Zeitungen schuld, die erstmals im Rahmen einer erkämpften Pressefreiheit Informationen und Meinung an ein breiteres Publikum verteilten. [Ironischerweise war (und ist heute teilweise noch) auf der nicht konservativen Seite die BILD-Zeitung schuld. Auch für mich, aber man muss sie ertragen.] Als das Radio aufkam, war es an der Verrohung der Informations- und Diskussionskultur schuld. Dann kam das Fernsehen, ein Teufelswerkzeug. Auch dieser neue Kanal war und ist wieder schuld. Besonders – laut Rechtspopulisten – die Öffentlich-Rechtlichen. Und natürlich die sozialen Medien.

Ich kann nur immer wiederholen, dass wir uns den Herausforderungen der sozialen Medien, die es zweifelsfrei gibt, stellen müssen. Nicht umsonst habe ich die Tage vom Würgegriff durch Kommerz auf der einen und Populismus und Stimmungsmache auf der anderen Seite geschrieben. Kommentare, wie die von Holger Steltzner, sind kontraproduktiv, fördern Vorurteile und halten Bürgerinnen und Bürger von den sozialen Medien fern. Genau das darf nicht passieren. Wir dürfen die sozialen Kanäle eben nicht den Populisten mit Fake News überlassen!

Jeder Einzelne ist dafür verantwortlich, das Web zu einem besseren Ort zu machen – Tim Berners-Lee, zitiert nach SPIEGEL ONLINE

Mein Blut in Wallung gebracht hat dann auch der Beitrag von Philipp Krohn im Wirtschaftsteil der FAZ in „Die Lounge“. Er beklagt auf der einen Seite. dass sich Linksliberale abschotten und in ihrem Milieu verharren und dabei eine Lücke hinterlassen. Linksliberale verweigern und boykottieren – so verstehe ich Krohn – vermeintlich aus „Political Correctness“ Diskussionen über heikle Themen . Antisemitismus bei jugendlichen Muslimen werde deshalb nicht angeprangert. Frauenquote sei nicht diskutierbar. Es gipfelt in dem Satz:

Aber haben sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, dass es vielleicht genau deshalb AfD-Positionen geworden sind, weil sie von einem bornierten, scheinbar liberalen Großbürgertum als inakzeptabel und nicht verhandelbar diffamiert werden?

in FAZ; 24.11.2018, Link folgt, sobald verfügbar

In weiteren Absätzen werden die wohlsituierten Linksliberalen weiter hart rangenommen. Sie isolierten sich in Stadtteilen, quasi Elitevierteln, in denen untere Schichten und Migranten nicht anzutreffen seien. Krohn macht fast alle politischen Fässer auf, die derzeit aktuell sind.

Meine Beobachtung als jemand, der seit Jahren mit einer Hildegard Hamm-Brücher, einem Gerhard Baum, einem Klaus von Dohnanyi sympathisiert hat und sich selbst als linksliberal bezeichnen würde, ist, dass die Linksliberalen sicher nicht mehr in der FDP daheim und zu finden sind. Auch bei der SPD wird es leider dünne. Und andere sind apolitisch geworden. Da bin ich noch am ehesten bei Krohn. Doch viele sind wohl zu den Grünen gegangen und finden dort eine neue Heimat. Nur mach bitte nicht die Linksliberalen für mangelnden politischen Diskurs und fehlende konstruktive, öffentliche Diskussion, ja gar für das Erstarken der AfD verantwortlich. Da gibt es viele andere, gewichtigere Gründe.

Für diese Meldung kann die FAZ nichts. Hat mir aber auch den Morgen nicht besser gemacht. Der „Spiegel“ hat mal wieder recherchiert und den Münchener Milliardär August von Finck als potentiellen Förderer der AfD identifiziert. Ich habe ja hier schon kommentiert.

Im Zuge der Spenden-Affäre der AfD gibt es offenbar neue Hinweise auf einen Finanzier. Laut dem „Spiegel“ und der Schweizer Wochenzeitung „WOZ“ soll der bayrische Unternehmer August von Finck, der in der Schweiz lebt, die rechte Partei unterstützt haben.

über AfD: Unterstützung vom Münchener Milliardär August von Finck? – FAZ

Und zum versöhnlichen Ende: Lesenswert finde ich die Analyse von Eckart Lohse und Markus Wehner über Die Merkel-Jahre und die Digitalisierung, die über Angie und uns hereingebrochen ist – und für die sie nichts kann, aber zu spät reagiert hat. Blicken wir zurück:

Als Angela Merkel vor dreizehn Jahren, am 22. November 2005, zur Bundeskanzlerin gewählt wurde, war die Welt noch eine andere. Es gab noch kein iPhone und auch kein iPad. Das bekannteste Smartphone trat seinen Siegeszug erst zwei Jahre später an, das entsprechende Tablet kam erst 2010 auf den Markt.

Auch Facebook auf Deutsch existierte noch nicht, ebenso wenig Whatsapp oder Instagram. Deutschland war eine digitale Wüste.

über 13 Jahre Merkel: Wie sich Deutschland gewandelt hat – FAZ

Der Beitrag ist leider noch nicht komplett online verfügbar (derzeit kostenpflichtig). Ich finde ihn bemerkenswert, weil die Autoren die 13 Merkel-Jahre Revue passieren lassen und vor allem auf die Geschwindigkeit der Veränderung eingehen. Ich stimme nicht mit jeder Analyse überein, doch einige Kernsätze

Doch keine Veränderung der Merkel-Jahre springt buchstäblich so ins Auge wie die Digitalisierung. …

Das Netz ist allgegenwärtig, und zwar immer und bei allen. …

Vor allem die sozialen Netzwerke haben das Alltagsleben sehr vieler Menschen durchdrungen.  … Der Online-Handel und damit der Niedergang von Einkaufsläden nebst ihrer sozialen Funktion breitet sich lawinenartig aus. …

Das weite Teil des Berufs- und Privatlebens sich ins Netz verlagert haben, verschafft den Menschen enorme Vorteile. Ebenso sorgt es aber für Entgrenzung, vor allem aber Beschleunigung.

über 13 Jahre Merkel: Wie sich Deutschland gewandelt hat – FAZ

Lesenswert und diskussionswürdig, der Beitrag. Mir scheint, dass Angela Merkel und die Bundesregierung erst in der jetzigen Legislaturperiode endlich zum Thema Digitalisierung in vielen ihrer Aspekte aufgewacht ist und initiativ wird. Nochmals: Für die Digitalisierung kann Angela Merkel sicher nichts, aber sie hätte wesentlich früher agieren müssen.

So, bevor ich mich weiter aufrege, verzichte ich auf Kommentare zum desolaten Zustand von Bundeswehr und Deutscher Bahn, zweier Vorzeigeikonen Deutschlands, die mehr als starke Risse bekommen haben. Ich reagiere mich lieber gleich beim Sport ab. In diesem Sinne schönes Wochenende!

(Stefan Pfeiffer)

„Jeder Einzelne ist dafür verantwortlich, das Web zu einem besseren Ort zu machen“ – Tim Berners-Lee | #ForTheWeb

22. November 2018 Posted by Stefan Pfeiffer

Das Thema freies Netz mit offener, konstruktiver Nutzung der sozialen Medien geht mir dieser Tage ständig durch den Kopf. Die Beiträge zu den unflätigen Beschimpfungen von Frauen im Netz – und ja, lieber Helmut Barz generell von Menschen jeglichen Geschlechts, Neigung und Couleur – und die Zurückhaltung der Jugendlichen, aus Angst vor Hasskommentaren selbst nicht im Netz Meinung zu äußern, beschäftigen mich.

Die Aussage Stay away from social media. It’s a poison schockiert mich, weil wir dann einen wichtigen Teil des Netzes den Neppern, Schleppern, Bauernfängern überlassen würden. Da kommt mir der Beitrag von Johannes Ceh gerade recht. Er bezieht es auf Facebook, aber es gilt generell:

Es liegt nicht in meiner Hand, wie es mit Facebook weitergeht, ob wir uns zukünftig auf dieser oder einer anderen Plattform begegnen. Aber eines weiß ich: Ich werde dieses Geschenk weiter pflegen. Ich freue mich auf Begegnungen.

über Erinnert euch an den eigentlichen Sinn von Social Media! | LEAD

Ich habe mich ja auch dementsprechend geäußert. Es gibt unzählige positive Aspekte von sozialen Medien. Dass ich aber darüber mit vielen Freunden weltweit in Kontakt bin, an deren Leben teilhabe und neue Bekannte und Freunde gewinne, ist ein solcher Effekt.

Doch sind all die positiven Dinge, die mit World Wide Web und auch mit sozialen Medien, erreicht werden können, derzeit unbestritten in Gefahr, im Würgegriff. Genau dieses Wort, das mir seit gestern durch den Kopf geht, benutzt auch Jörg Schieb in seinem Beitrag:

Weil sich das Netz längst fest im Würgegriff des Kommerz befindet. Überall Werbung. Überall Mechanismen, um die User vor den Schirmen und Displays zu halten. Überall ungenierte Spionage. Wir User sind meist nicht die Kunden, sondern die Ware für Google, Facebook und all die anderen.

über Erobern die Benutzer das Netz zurück? | schieb.de

Allerdings sehe ich mindestens zwei Seiten. von denen aus heftig gewürgt wird.

Neben dem Kommerz, neben den Datenkraken, ist es der Hass, die Propaganda, die inakzeptablen Kommentare, Beschimpfungen, Halbwahrheiten und Lügen, die an einer an sich positiven Institution, dem Netz, rütteln. Ein Donald Trump und Seinesgleichen im Geiste, russische Trollfabriken oder ebensolche aus anderen Ländern, die Meinung machen und Wahlen manipulieren, Rechtspopulisten, die antisemitische Beschimpfungen, Gewaltparolen absondern und Angst verbreiten, und Personen, denen jeglicher Anstand, jegliche Umgangsform fehlt, hinterlassen mehr als deutliche Würgespuren am und im freien Netz. Das ist alles nicht zu leugnen.

So begrüßenswert die Initiative
von Tim Berners-Lee ist: Sie wirkt
fast ein bisschen naiv.
Hoffnungslos. – Jörg Schieb

Also aufgeben? Stay away from social media. It’s a poison. Weg bleiben von freier Meinungsäußerung? Soziale Medien aufgeben? Oder trotzdem kämpfen? Tim Berners-Lee, der „Erfinder“ des World Wide Web will nicht aufgeben. Mit der Initiative #ForTheWeb versucht er eine „Magna Carta fürs Internet“ auszurufen. Die Initiative, die von Google und Facebook – man staune – und auch der französischen Regierung unterstützt wird Jörg Schieb titelt Erobern die Benutzer das Netz zurück?, ist aber gleichzeitig skeptisch und fordert, #ForTheWeb höher zu hängen und bei den Vereinten Nationen zu verankern. Übrigens hat auch die Bundesregierung im Kabinett beschlossen, die Charta zu zeichnen. Natürlich will man auch ein schönes Foto mit Tim Berners-Lee. Sei gegönnt.

Tja, was tun? Auf jeden Fall die Initiative von Tim Berners-Lee unterstützen, trotz der vermeintlichen Hoffnungslosigkeit, die manchmal durch den Kopf schiesst. Vielleicht ist es auch wirklich ein bisschen naiv, aber ist nichts tun die Alternative? Stay away kann und darf nicht die Lösung sein!

Jeder Einzelne ist dafür verantwortlich, das Web zu einem besseren Ort zu machen – Tim Berners-Lee, zitiert nach SPIEGEL ONLINE

Klingt wieder naiv, aber ich werde meine neuen und nachträglich die bereits publizierten Beiträge zum Thema mit dem Hashtag versehen. Und versuche, persönlich als Individuum nicht aufzugeben.

(Stefan Pfeiffer)

P.S. Über das Projekt SOLID von Tim Berners-Lee habe ich hier berichtet. Vielleicht wieder ein naives Projekt, aber ich werde es verfolgen.