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Wild, kreuz und quer, rein subjektiv in der FAZ gelesen: Böse soziale Medien, Linksliberale sind schuld an allem, Digitalisierung und Merkel-Jahre – und, und, und …

24. November 2018 Posted by Stefan Pfeiffer

Ich habe eine emotionale Beziehung zur Frankfurter Allgemeinen. Als Student und angehender Journalist durfte ich dank Dietrich Ratzke dort ein Praktikum in der Neue Medien-Redaktion – ja, gab es mal, da wurden BTX, Radio und Fernsehen „gemacht“ absolvieren. Doch diesmal haben mir einige Journalisten der FAZ dem Samstag morgen versaut.

Herausgeber (!!) Holger Steltzner kommentiert auf Seite 1:

Bis vor kurzem bildeten Fakten die Grundlage für einen rationalen Diskurs. Heute ist das anders. Liegt das vielleicht daran, dass die Hysterie aus den sozialen Netzwerken, in denen sich alle ständig aufregen und Verschwörungstheorien besonders gut ankommen, auf die politischen Debatten des Landes überschwappt? Man darf Fakten als „Fake News“ verunglimpfen, solange man auf der „richtigen“ Seite steht.

über Kommentar zu Hartz-IV: Politik mit Flüchtlingskindern – FAZ

Und wieder sind die bösen sozialen Medien schuld. Ich kann es bald nicht mehr hören. Im 19. Jahrhundert war die Zeitungen schuld, die erstmals im Rahmen einer erkämpften Pressefreiheit Informationen und Meinung an ein breiteres Publikum verteilten. [Ironischerweise war (und ist heute teilweise noch) auf der nicht konservativen Seite die BILD-Zeitung schuld. Auch für mich, aber man muss sie ertragen.] Als das Radio aufkam, war es an der Verrohung der Informations- und Diskussionskultur schuld. Dann kam das Fernsehen, ein Teufelswerkzeug. Auch dieser neue Kanal war und ist wieder schuld. Besonders – laut Rechtspopulisten – die Öffentlich-Rechtlichen. Und natürlich die sozialen Medien.

Ich kann nur immer wiederholen, dass wir uns den Herausforderungen der sozialen Medien, die es zweifelsfrei gibt, stellen müssen. Nicht umsonst habe ich die Tage vom Würgegriff durch Kommerz auf der einen und Populismus und Stimmungsmache auf der anderen Seite geschrieben. Kommentare, wie die von Holger Steltzner, sind kontraproduktiv, fördern Vorurteile und halten Bürgerinnen und Bürger von den sozialen Medien fern. Genau das darf nicht passieren. Wir dürfen die sozialen Kanäle eben nicht den Populisten mit Fake News überlassen!

Jeder Einzelne ist dafür verantwortlich, das Web zu einem besseren Ort zu machen – Tim Berners-Lee, zitiert nach SPIEGEL ONLINE

Mein Blut in Wallung gebracht hat dann auch der Beitrag von Philipp Krohn im Wirtschaftsteil der FAZ in „Die Lounge“. Er beklagt auf der einen Seite. dass sich Linksliberale abschotten und in ihrem Milieu verharren und dabei eine Lücke hinterlassen. Linksliberale verweigern und boykottieren – so verstehe ich Krohn – vermeintlich aus „Political Correctness“ Diskussionen über heikle Themen . Antisemitismus bei jugendlichen Muslimen werde deshalb nicht angeprangert. Frauenquote sei nicht diskutierbar. Es gipfelt in dem Satz:

Aber haben sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, dass es vielleicht genau deshalb AfD-Positionen geworden sind, weil sie von einem bornierten, scheinbar liberalen Großbürgertum als inakzeptabel und nicht verhandelbar diffamiert werden?

in FAZ; 24.11.2018, Link folgt, sobald verfügbar

In weiteren Absätzen werden die wohlsituierten Linksliberalen weiter hart rangenommen. Sie isolierten sich in Stadtteilen, quasi Elitevierteln, in denen untere Schichten und Migranten nicht anzutreffen seien. Krohn macht fast alle politischen Fässer auf, die derzeit aktuell sind.

Meine Beobachtung als jemand, der seit Jahren mit einer Hildegard Hamm-Brücher, einem Gerhard Baum, einem Klaus von Dohnanyi sympathisiert hat und sich selbst als linksliberal bezeichnen würde, ist, dass die Linksliberalen sicher nicht mehr in der FDP daheim und zu finden sind. Auch bei der SPD wird es leider dünne. Und andere sind apolitisch geworden. Da bin ich noch am ehesten bei Krohn. Doch viele sind wohl zu den Grünen gegangen und finden dort eine neue Heimat. Nur mach bitte nicht die Linksliberalen für mangelnden politischen Diskurs und fehlende konstruktive, öffentliche Diskussion, ja gar für das Erstarken der AfD verantwortlich. Da gibt es viele andere, gewichtigere Gründe.

Für diese Meldung kann die FAZ nichts. Hat mir aber auch den Morgen nicht besser gemacht. Der „Spiegel“ hat mal wieder recherchiert und den Münchener Milliardär August von Finck als potentiellen Förderer der AfD identifiziert. Ich habe ja hier schon kommentiert.

Im Zuge der Spenden-Affäre der AfD gibt es offenbar neue Hinweise auf einen Finanzier. Laut dem „Spiegel“ und der Schweizer Wochenzeitung „WOZ“ soll der bayrische Unternehmer August von Finck, der in der Schweiz lebt, die rechte Partei unterstützt haben.

über AfD: Unterstützung vom Münchener Milliardär August von Finck? – FAZ

Und zum versöhnlichen Ende: Lesenswert finde ich die Analyse von Eckart Lohse und Markus Wehner über Die Merkel-Jahre und die Digitalisierung, die über Angie und uns hereingebrochen ist – und für die sie nichts kann, aber zu spät reagiert hat. Blicken wir zurück:

Als Angela Merkel vor dreizehn Jahren, am 22. November 2005, zur Bundeskanzlerin gewählt wurde, war die Welt noch eine andere. Es gab noch kein iPhone und auch kein iPad. Das bekannteste Smartphone trat seinen Siegeszug erst zwei Jahre später an, das entsprechende Tablet kam erst 2010 auf den Markt.

Auch Facebook auf Deutsch existierte noch nicht, ebenso wenig Whatsapp oder Instagram. Deutschland war eine digitale Wüste.

über 13 Jahre Merkel: Wie sich Deutschland gewandelt hat – FAZ

Der Beitrag ist leider noch nicht komplett online verfügbar (derzeit kostenpflichtig). Ich finde ihn bemerkenswert, weil die Autoren die 13 Merkel-Jahre Revue passieren lassen und vor allem auf die Geschwindigkeit der Veränderung eingehen. Ich stimme nicht mit jeder Analyse überein, doch einige Kernsätze

Doch keine Veränderung der Merkel-Jahre springt buchstäblich so ins Auge wie die Digitalisierung. …

Das Netz ist allgegenwärtig, und zwar immer und bei allen. …

Vor allem die sozialen Netzwerke haben das Alltagsleben sehr vieler Menschen durchdrungen.  … Der Online-Handel und damit der Niedergang von Einkaufsläden nebst ihrer sozialen Funktion breitet sich lawinenartig aus. …

Das weite Teil des Berufs- und Privatlebens sich ins Netz verlagert haben, verschafft den Menschen enorme Vorteile. Ebenso sorgt es aber für Entgrenzung, vor allem aber Beschleunigung.

über 13 Jahre Merkel: Wie sich Deutschland gewandelt hat – FAZ

Lesenswert und diskussionswürdig, der Beitrag. Mir scheint, dass Angela Merkel und die Bundesregierung erst in der jetzigen Legislaturperiode endlich zum Thema Digitalisierung in vielen ihrer Aspekte aufgewacht ist und initiativ wird. Nochmals: Für die Digitalisierung kann Angela Merkel sicher nichts, aber sie hätte wesentlich früher agieren müssen.

So, bevor ich mich weiter aufrege, verzichte ich auf Kommentare zum desolaten Zustand von Bundeswehr und Deutscher Bahn, zweier Vorzeigeikonen Deutschlands, die mehr als starke Risse bekommen haben. Ich reagiere mich lieber gleich beim Sport ab. In diesem Sinne schönes Wochenende!

(Stefan Pfeiffer)

Deutschland & der Kohlendioxidausstoß: „Am Sonntag ist der Klimaschutz eine Menschheitsfrage, am Montag nur noch eine Machtfrage“ – Gabor Steingart

10. Oktober 2018 Posted by Stefan Pfeiffer

Klaus Eck hat mir sein Morning Briefing empfohlen, die tägliche pointierte Zusammenfassung von Gabor Steingart. Und, Klaus, ich bin sehr angetan und möchte aus dem heutigen Briefing vom 10.10.2018 zitieren, da es auch meine Stimmung trifft und zudem zeigt, was zur Politikverdrossenheit in diesem Land und zur Abgabe von Proteststimmen* beiträgt. Es geht um den Kohldioxid-Ausstoß und das Verhalten der deutschen Bundesregierung, von Angela Merkel … und von der scharf kritisierten Bundesumweltministerin Svenja Schulze. Wieder einmal beuge man sich der deutschen Automobilindustrie. Hatten wir das nicht gerade?

Deutschland, das sich immer gerne als Vorreiter in der Umweltpolitik gibt, wollte nur einen Kohlendioxidausstoß von 30 Prozent, die Mehrheit der anderen Länder 40 Prozent. Die Große Koalition sei eben groß in Sachen Ambitionslosigkeit und Schulze habe sich der Kanzlerin und der Koalitionsentscheidung gebeugt – und den Autokonzeren. Da hätte „Merkels graue Maus“ nicht nach Brüssel reisen müssen. Nachplappern könne Alexa besser.

Bei aller Spitzzüngigkeit macht aber dieser Absatz sehr nachdenklich, finde ich:

Das genau macht die Politik für so viele Bürger unappetitlich: Am Sonntag ist der Klimaschutz eine Menschheitsfrage, am Montag nur noch eine Machtfrage. Eben ging es noch um Leben und Tod der Küstenregionen, jetzt nur noch um den Cashflow der Autofirmen.

über Gabor Steingart. Das Morning Briefing.

*Ich hoffe, es werden wirklich nur Proteststimmen abgegeben und diese Wähler folgen und glauben nicht wirklich den tumben Parolen der entsprechenden Schwadronierer.

(Stefan Pfeiffer)

„Die digitale Ära Merkel war eine Zeit der Versäumnisse, der Verhinderung und des Versagens“ – Sascha-Lobo auf SPIEGEL ONLINE

27. September 2018 Posted by Stefan Pfeiffer

Eine düstere Zwischenbilanz – oder ist es gar eine Bilanz kurz vor dem Ende der Ära Merkel -, die Sascha Lobo auf Spiegel Online bezüglich der digitalen Aktivitäten und Erfolge für die Zeit der Kanzlerin Angela Merkel zieht. Zu Beginn eigentlich schon das Resumé, bevor Sascha auf einzelne Aspekte und Projekte eingeht:

Die digitale Ära Merkel war eine Zeit der Versäumnisse, der Verhinderung und des Versagens.

Quelle: Angela Merkel: Beharrungsvermögen ist kein Vermögen – Sascha-Lobo-Kolumne – SPIEGEL ONLINE

Das Thema Breitbandausbau und digitale Infrastruktur Deutschlands ist oft genug behandelt worden. Wir sind auf Entwicklungsniveau und auch bei neuen Projekten wie 5G ist Skepsis angebracht, ob wirklich eine Flächendeckung erreicht werden soll. Die Vergabe der Lizenzen ist – so Sascha in seinem Beitrag – nicht an die Bedingung „lückenlose Versorgung“ geknüpft.

Da sind wir bei den berühmten Rahmenbedingungen, die eine Regierung schaffen sollte. Die Wirtschaftswoche hat nach Sichtung des Bundesarchives berichtet, dass bereits Anfang der Achtzigerjahre der Ausbau des Glasfasernetzes von der damaligen Bundesregierung unter Helmut Schmidt geplant war. Schade nur, dass die Nachfolgeregierung unter dem Großen/Dicken aus der Pfalz das dann wohl gestoppt hat. Das verstehe ich unter Rahmenbedingungen und politischer Weitsicht … also … Ihr versteht schon.

Heute sprechen wir von der Digitalen Transformation und Sascha bemerkt korrekterweise dazu:

Der Wandel der Wirtschaft durch die Digitalisierung ist zu allererst Aufgabe der Unternehmen selbst. Aber die richtige Politik kann die notwendige Weiterentwicklung stark begünstigen.

Quelle: Angela Merkel: Beharrungsvermögen ist kein Vermögen – Sascha-Lobo-Kolumne – SPIEGEL ONLINE

Die Rahmenbedingungen, die geschaffen werden, sind Vorratsdatenspeicherung oder Leistungsschutzrecht. Und dazu passt die Diesel-Affäre und den damit einher gehenden zum Vertrauensverlust, der auch wieder Wähler die Hände politischer Rattenfänger treibt:

Die Bundesregierung und ihre Behörden haben den Automobilkonzernen ihre Software-Betrügereien durchgehen lassen, in einem Ausmaß, das als politische Mauschelei verstanden werden muss.

Quelle: Angela Merkel: Beharrungsvermögen ist kein Vermögen – Sascha-Lobo-Kolumne – SPIEGEL ONLINE

Passt wie die Faust aufs Auge. Mit „weiter so“ werden wir den aktuellen und kommenden Herausforderungen nicht gerecht, geschweige denn voran gehen oder führen. Fehlende Führung manifestiert sich auch in der Art, wie die Regierung im Zeitalter der sozialen Medien kommuniziert. Da nutzt auch der Horschtie nicht, der ja jetzt twittern soll. Und nein, Angie soll nicht den Trump machen. Aber wie schreibt Sascha so schön:

In einer hypervernetzten Zeit, wo alles Kommunikation und Kommunikation alles geworden ist, hat Merkel einfach weiter ihre Strategie des Nichtkommunizierens verfolgt. Von ihrem Videopodcast mal abgesehen.

Quelle: Angela Merkel: Beharrungsvermögen ist kein Vermögen – Sascha-Lobo-Kolumne – SPIEGEL ONLINE

Ich glaube noch immer daran, dass wir die neuen sozialen Kanäle sinnvoll nutzen können, ja müssen, um sie nicht den Demagogen zu überlassen. Wir haben gar keine Chance und müssen es tun, wenn wir nicht als Demokraten verlieren wollen. Soziale Kanäle tragen heute maßgeblich zur Meinungsbildung und wir dürfen nicht wieder die Deutungshoheit verlieren. Das ist im 3. Reich schon einmal geschehen, wo die Goebbel’sche Propaganda alle anderen Meinungen niedergebrüllt hat.

Sascha verstreut auch einen Hauch von Optimismus und verweist auf den neu eingerichteten Digitalrat, die Digitalstaatsministerin im Bundeskanzleramt – zuständig für Digitalisierungskoordination oder die Datenethikkommission. Diesmal seien auch Leute dabei, die ein tiefes Verständnis der Materie mitbrächten. Alleine ich sehe nach der Flugtaxi-Diskussion noch keine Fortschritte. Sorry, das war böse. Vielleicht kommt ja noch was in der verbleibenden Zeit der GroKo.

Doch jenseits der GroKo: Wo ist die Partei, die glaubhaft eine fortschrittliche, digitale Politik vertritt, die über Schlagworte auf Wahlkampfplakaten? Ich habe sie noch nicht gefunden. Doch ich lasse mich gerne belehren.

(Stefan Pfeiffer)