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Blanker Hass bei den schönsten Nebensachen der Welt

23. Februar 2020 Posted by Stefan Pfeiffer

Fußball ist (für mich) eine der schönen Nebensachen. Set Jahrzehnten verfolge ich meine Borussia, meine Fohlen und schwärme noch immer für den Jünter. Und gerade läuft es beim kleinen gallische Dorf am Niederrhein ja auch gut – trotz des Unentschiedens gegen Hoffenheim. Doch den Spaß haben mir am gestrigen Samstag einige Deppen verdorben. Ich bin kein Freund von Vereinen wie RB Leipzig oder Hoffenheim, aber was sogenannte Gladbach-Fans gegen Hopp gemacht haben, geht gar nicht. Auch das ist Hass. Stoppt es!

Dann gab es eine Fernsehsendung: Mainz bleibt Mainz, wie … Ich bin kein Karnevalsfan, mir oft zu laut und zu platt. Zu wenig politischer, scharfzüngiger Karneval. Aber Karneval ist auch eine schöne Nebensache für viele Menschen. Bei der erwähnten Sitzung ist Andreas Schmitt, SPD im Stadtrat von Nieder-Olm, als „Obermessdiener am Hohen Dom zu Mainz“ in die Bütt gegangen und hat Tacheles geredet:

Mainz ist weltoffen, ihr nehmt uns die Freiheit nicht. Solltet ihr für jedes Naziopfer eine Schweigeminute gestalte, müsstet ihr 38 Jahr‘ lang eure Schandmäuler halte. Es war millionenfacher Völkermord, ihr braunen Wichte, und kein Vogelschiss der deutschen Geschichte.

„Obermessdiener“ – Mainzer Büttenredner löst mit AfD-Kritik in Karnevalssitzung breites Echo aus

Die komplette Rede ist hier (wohl leider nur bis 20. Mai 2020) zu sehen. Als Reaktion gab es wieder Drohungen gegen ihn. Wieder Hass.

Warum stelle ich diese beiden Vorfälle nebeneinander? Der Hass ist überall angekommen. Nicht nur in Hanau. Auch bei schönen Nebensachen. Das macht nachdenklich. Und diejenigen, die diesen Hass schüren, sind die Mitglieder:innen der AfD, die einen auf unschuldig machen. Dabei schüren sie bewusst mit ihren Aussagen Rassismus und Hass an:

Die Gaulands, Höckes und Klonovskys kann man nicht bekehren. Die haben Blut geleckt, die wollen mehr. Ihr Geschäftsmodell ist eines der Aufwiegelung, der Untergrabung der liberalen Demokratie und der Selbstzerfleischung ihrer Bürgergesellschaft. Sie werden so lange an ihm festhalten, wie sie Zulauf haben, …

AfD-Kommentar: Aufwiegelung als GeschäftsmodellBerthold Kohler in der FAZ

Oder wie formuliert es Andreas Schmitt:

Demokratie beibringen, den Pommeranze, eher lernste ne Wildsau Lambada tanze

„Obermessdiener“ – Mainzer Büttenredner löst mit AfD-Kritik in Karnevalssitzung breites Echo aus

Tja, wir müssen wohl alle auch im Alltag gegen Hass aufstehen und dessen Nährboden bekämpfen. Nicht nur auf jedem Fußballplatz und in der Bütt.

Und denken wir zurück, dass so etwas nicht wieder geschehen darf:

“Ich war mal Hitlerjunge. Verstehen Sie? Mir reicht das.” | Gerhart Baum, FDP-Politiker

6. Februar 2020 Posted by Stefan Pfeiffer

Gerhart Baum (geboren 28. Oktober 1932 in Dresden), FDP-Politker, ehemaliger Innenminister, zitiert nach Gabor Steingarts Morning Briefing vom 6.2.2020:

Ein Hauch von Weimar liegt über der Republik. Die AfD-Jugend in Thüringen will sich jetzt in Höcke-Jugend umbenennen. Ich war mal Hitlerjunge. Verstehen Sie? Mir reicht das. Mir stecken die Schrecken der Nazis als ganz alter Mann noch in den Knochen.“

FDP: Dammbruch der Demokratie

Bild von Michi S auf Pixabay

Gegen rechte Nepper, Schlepper, Bauernfänger: Wo möglich ausgrenzen und ignorieren, sonst klare Kante zeigen

24. November 2019 Posted by Stefan Pfeiffer

Twitter-Exzesse von Herrn Trump, Fake News, rechte Pöbeleien gegen Andersdenkende, die Verrohung von Sitten und Anstand, die angebliche Lügenpresse, Angst und Zivilcourage im realen Leben und im Netz, die Krise und das kommunikative Versagen der Parteien … Das Thema demokratischer Diskurs, Meinungsfreiheit, öffentliche Diskussion einerseits, Hasskommentare und Shitstorms andererseits in sozialen Medien, der erneute Strukturwandel der Öffentlichkeit in den letzten Monaten und Jahren beschäftigt mich sehr. Deshalb hier einige kuratierte Zitate und Links zu Artikeln, deren Hintergrund einige Kernfragen sind:

  • Wann und wie oft reagiert man öffentlich auf die oft undemokratischen, rassistischen und menschenfeindichen Aussagen von AfD und Konsorten und wie viel Aufmerksamkeit generiert man dadurch unbeabsichtigt für sie?
  • Oder: Wie wehrhaft und klar muss man gegenüber den angeblich so Integren aufstehen?
  • Aber auch: Was ist mit der einstmals positiv besetzten Vision des Internets, der sozialen Netzwerke als Ort des Diskurses angesichts des Missbrauchs, der Propaganda radikaler Gruppen im Netz?

Sascha Lobo hat sich in seiner Kolumne auf Spiegel Online zur „digitale Transformation der Meinungsfreiheit“ geäußert. Und ich nicke, wenn er über die Stammtischparolen und rechte Gesinnung schreibt, die es schon immer in Deutschland gegeben hat. In meinem Heimort Leun hatte die NPD schon vor 30 Jahren in Wahlen signifikant Stimmen gewonnen. Nur war es damals ein lokales Phänomen, das über die Region hinaus kaum in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Die Rechten bekamen nie in mit heute vergleichbarer Weise Aufmerksamkeit. Das ist heute durch das Netz und die sozialen Medien anders. Parolen und Hass-Tweets sind jetzt weit über den Stammtisch in der Dorfkneipe und die Lokalzeitung hinaus hörbar.

Die AfD mobilisiert bestehendes Potenzial“, schreibt Floris Biskamp im Tagesspiegel. Schon seit vielen Jahren gebe es nach Studien einen rechten Bodensatz und eine größere Gruppe mit Affinität zu radikal rechten Positionen.  Nun ist das Potential sichtbar und pöbelt herum.

Ausgrenzen, wo immer möglich

Was also tun? Rechtsextremistische, rassistische Bewegungen ausgrenzen, fordert Verena Weidenbach in einem Beitrag auf Zeit Online. Ruprecht Polenz unterstützt sie in Tweets und seiner Leseempfehlung auf Piqd die Argumentation: „Ausgrenzung durchkreuzt die Normalisierungsstrategie der Rechtsradikalen“, so der Titel seines Beitrags. Ausgrenzen, wo immer es geht. Und eben gerade nicht zur Feier des 70 jährigen Bestehens der FAZ einladen.

Nicht nur fehlt der AfD integres Personal*, wie Verena Weidenbach ausführt, sie dulden in ihrer Partei unbestreitbarerweise Rechtsradikale, entsprechende Aussagen und Ansichten. Erhöhte Obacht also, wenn sich die AfD nun als konservative und bürgerliche Partei zu positionieren versucht und von einem „Marsch durch die Organisationen“ träumt. Und seien wir vorsichtig und realistisch: Es gibt an den oben zitierten Stammtischen, in manchen Vereinen und Organisationen, bei oben erwähntem Potential, durchaus ein offenes Ohr für die einfach klingenden Stammtischparolen.

Ausgrenzen heißt aus meiner Sicht übrigens nicht, dass man mit nicht mit Überzeugungsarbeit und Geduld – und nicht mit nachplappern und nachäffen von Parolen – versucht, Wähler zurückzugewinnen, auch wenn die entsprechenden Dialogversuche oft frustrierend sind.

Eine vorgeschlagene Strategie ist also ausgrenzen. Doch reagiert man, muss man nicht auf die teilweise unhaltbaren Plattitüden reagieren, die heute eben deutlich über den Stammtisch hinaus vor allem auch in sozialen Medien zu finden sind und sich dort aufschaukeln?  Das Netz, einstmals als Ort des demokratischen Aufbruchs, als Ort der kontroversen, aber friedlichen Kommunikation gedacht, wird gebraucht, missbraucht, um Hassbotschaften, Lügen, Halbwahrheiten zu verbreiten, zu beschimpfen und zu drohen.

„Den Bekloppten nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken“

Was sollte diesbezüglich die Antwort und Strategie sein? Hilft ignorieren und schweigen? „Stell dir vor, Trump twittert, und niemand schaut hin“, schreibt die taz. Wohl eher schwierig, denn die Tweets von Herrn Trump und die Parolen der Rechten, die sich so gerne als Opfer von „Lügenpresse“ und linker Gegner „hochsterilisieren“. Sie sind auf den sozialen Kanälen hyperaktiv und auch die Medien spielen mit, denn die Aussagen und entsprechenden Kontroversen generieren Aufmerksamkeit, Klickraten, Leser, Zuhörer und Zuschauer. Und schon dreht sich die Spirale.

Und ich fürchte, nicht nur eine BILD ist unbelehrbar und springt auf ach so plakative Sprüche und Tweets auf, behandelt diese in der unendlichen Fortsetzungsreihe aufmerksamkeitsheischender Berichterstattung. Auch die durchaus kritische Presse ist nicht gefeit. Allenthalben werden weiter entsprechende Aussagen und Themen aufgegriffen, verbreitet und sorgen so für entsprechende kostenlose Öffentlichkeit für die rechten Rattenfänger. Die sogenannte Lügenpresse wird ungewollt zum Wahlkampfhelfer. Ein fataler Zyklus oder wie es Die Schwäbische zum Aufstieg von AfD oder auch zum Erfolg von Herrn Trump und Konsorten formuliert:

Sind Medien dafür mitverantwortlich – weil sie denen besonders viel Beachtung schenken, die besonders laut schreien?

Kurzum: Geben wir den Bekloppten zu viel Aufmerksamkeit?

über AfD, Brexit, Trump: Geben wir den Bekloppten zu viel Aufmerksamkeit?

Rezo stößt in seinem Beitrag auf Zeit Online in das gleiche Horn, wenn er Journalisten, die eben auch Influencer sind, ermahnt:

Und je nachdem welche Narrative ihr wiederholt oder wie ihr Themen präsentiert, stärkt ihr den Spin der „Maulkorb-Demokratie“ und „Wohlfühl-Diktatur“ von Faschisten und Co.

über Meinungsfreiheit: Die CDU hat mich nicht verklagt | ZEIT ONLINE

Kann, darf man also schweigen? Gerade die Medien sind gefragt, über die Art ihrer Berichterstattung nachzudenken – und ob man gerade einer AfD immer wieder eine Plattform geben und sie zu nur scheinbar hart, aber fairen Diskussionen einladen muss. Und wenn man sie schon einladen muss: Warum ist man dann nüberhöflich, statt  und klare Kante bei entsprechenden Aussagen zu zeigen?

Mut zu Zivilcourage und klarer Kante

Doch nicht nur von den Medien ist diese Kante gefragt. Die Schriftstellerin Juli Zeh hat am 8. November anlässlich der Verleihung des Heinrich-Böll-Preises der Stadt Köln eine bemerkenswerte Rede gehalten. Sie prangert die Politikverdrossenheit von Literaten als ein Seimospgraph des Zustands einer Gesellschaft an. Politik werde als uncool angesehen, Politik- bzw. Elitenfeindlichkeit ist unsinnigerweise bei meist eher linken Intellektuellen wie auch am rechten Rand en vogue.

Es ist höchste Zeit, den demokratischen Selbsthass zu beenden und zu einem respektvollen Umgang mit unserem System, mit uns selbst und miteinander zurückzukehren. …

Auch wenn Gedankenaustausch und Interessenausgleich noch so anstrengend, quälend langsam und frustrierend sein können. Auch wenn hart errungene Kompromisse noch so fade schmecken und das politische Tagesgeschäft insgesamt ziemlich wenig glamourös, cool oder sexy ist. Schluss mit Bequemlichkeit und Beleidigtsein. Schluss mit der ebenso albernen wie gefährlichen Behauptung, die Demokratie könnte es mit dem 21. Jahrhundert nicht aufnehmen.

Wir, jeder Einzelne von uns, als Schriftsteller, als Bürger, sind das Rückgrat der Demokratie, sofern wir selbst ein Rückgrat besitzen.

über Politikverdruss: Wir tragen alle Mitschuld | ZEIT ONLINE

Ein beeindruckendes Appell. Zivilcourage und ebenKante zeigen, auch wenn sich – wie Sascha Lobo schreibt – „die Menschen“, demokratisch gesinnte Bürger:innen oft aus Angst nicht mehr trauen, ihre Meinung zu äußern:

Die Zahl der Menschen, die sich in sozialen Medien nicht oder nur eingeschränkt politisch äußern, weil sie einen Onlinemob, Hassattacken oder gar Offline-Übergriffe fürchten, ist nach meiner Einschätzung groß. Und natürlich sind aggressive Beschimpfungen oder Bedrohungen eine potenzielle Gefahr für die Meinungsfreiheit.

über Sascha Lobo: Der tägliche Meinungsfreiheitskampf – SPIEGEL ONLINE

Wir hatten das in Deutschland schon einmal, doch wir leben in anderen Zeiten und – davon bin ich überzeugt – die demokratische Basis und das Selbstverständnis ist heute als in der Weimarer Republik.

Demokratie muss sich wehren und Bürger:innen müssen geschützt werden

Doch es muss im Sinne einer wehrhaften Demokratie gegen Exzesse, Beleidigungen und Bedrohungen strafrechtlich vorgegangen werden, nicht nur, wenn Politiker:innen übelst bedroht und beschimpft werden. Auch der gemeine, normale Bürger und seine Zivilcourage muss geschützt werden. Demokratische Grundwerte – Basis ist das Grundgesetz – gehören verteidigt. Übergriffe müssen schnell, direkt und hart bestraft werden. Das ist Verteidigung der Meinungsfreiheit und wehrhafte Demokratie.

Das mag, ja wird und muss bedeuten, dass die entsprechenden Behörden in jeder Beziehung besser ausgestattet werden: Mehr Personal, bessere Technik und schneller handelnde und urteilende Gerichte. Das heißt auch, die GAFAM-Konzerne wirklich in die Pflicht zu nehmen. Wir leben in einem Land und in einer europäischen, ja trotz eines Trump wohl transatlantischen, ja weltweiten Wertegemeinschaft, wo gemeinsame, demokratische Werte hoch gehalten werden. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Das gehört verteidigt.

Den Neppern, Schleppern und Bauernfängern gegenhalten

Und so hilft wohl nur eine kombinierte Strategie

  • des Ausgrenzens, wo immer es möglich ist, des Ignorierens und Schweigens, wo angebracht, wir müssen nicht jede faule Möhre anknabbern, die uns Radikale hinhalten,
  • der kompromisslosen Strafverfolgung, wenn demokratische Grundwerte und juristisch verfolgbare Bestände vorliegen,
  • und sicher nicht zuletzt der Zivilcourage aller Bürger:innen, die man ermutigen und schützen sollte.

Ich verstehe den Frust mit dem Politikbetrieb und den etablierten Parteien sehr gut. Wir können und sollten uns aber Politikverachtung nicht leisten, sondern den Mut haben, demokratische Reformen zu fordern und zu treiben. Wenn wir das nicht tun, spielen wir den Neppern, Schleppern und Bauernfängern in die Hände. Machen wir uns klar: Wir haben im heutigen Deutschland sehr viel zu verlieren. Und ich spreche nicht nur von Wohlstand, sondern vor allem von Demokratie und Freiheit. Das hatten wir nicht so oft in Europa.

(Stefan Pfeiffer)

* Zum Thema integer: Wer wie Herr Gauland die folgende Aussage trifft, ist aus meiner Sicht übrigens keinesfalls integer, verhöhnt vielmehr Opfer und verharmlost die schlimmsten Jahre deutscher Geschichte:

Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte.

über AfD-Chef Alexander Gauland verteidigt Zitat über NS-Zeit

 Bild von Wokandapix auf Pixabay

Rechtsradikale Äußerungen sind überall, sie sind in der Minderheit und das muss so bleiben – Ein Vorfall in der Deutschen Bahn

12. Juli 2019 Posted by Stefan Pfeiffer

Der Vorfall in einem Zug der Deutschen Bahn, den Gerrit Wustmann auf Telepolis schildert, ist schockierend und deprimierend genug. Er zeigt, wie rechte Äußerungen, Lügen, Halbwahrheiten und Gesinnungen durchaus überall im Alltag präsent sind. Sie sind nicht mehr nur präsent, der Scham sie öffentlich(er) zu äußern, ist dramatisch gesunken. Ich ziehe meinen Hut vor der Zivilcourage von Julietta F., die aufgestanden ist, sich bei der Bahn beschwert hat und nun den rechten Shitstorm ertragen muss.

An der Realität ist die Analyse von Gerrit Wustmann am Ende des Beitrages:

Die Rechtsradikalen findet man nicht nur bei den Pegida-Treffen, … sondern überall. Sie arbeiten bei der Bahn, stehen morgens beim Bäcker vor uns in der Schlange. Sie sind, wie die Wahlergebnisse von AfD, NPD und Co zeigen, eine Minderheit von rund fünfzehn Prozent der Bevölkerung. Aber freilich fühlen sie sich als Mehrheit …

… Man darf, man muss es mit Walter Lübcke sagen: Es steht ihnen frei, das Land zu verlassen, dessen Werte ihnen so zuwider sind. Deutschland braucht sie nicht. Doch solange sie hier sind und Menschen beschimpfen, bedrohen und im Extremfall sogar ermorden, ist es Aufgabe von uns allen, ihnen Gegenwind zu bieten und sie nicht durchkommen zu lassen.

über Rechter Shitstorm nach Nazi-Durchsage im ICE | Telepolis

Ähnliche Zitate und Aufforderung zu Zlvilcourage gibt es von Erich Kästner.

Man sollte auf jeden Fall den ganzen Beitrag lesen. Schockierend sind auch viele der Kommentare, die dazu abgegeben wurden und genau beschrieben Gesinnung verharmlost oder gar verteidigt.

(Stefan Pfeiffer)

 Image by Gerd Altmann from Pixabay

#Hartaberfair: Rechter Kommunikationsspezialist führt Plasberg & Co vor – Über mehr oder weniger subtile Sprachmanipulationen und #HateSpeech

5. Juli 2019 Posted by Stefan Pfeiffer

Am Dienstag (2. Juli 2019) haben wir uns den Film Nacht über Berlin angesehen. Es geht um den gemäßigter, jüdischen SPD-Reichtstagsabgeordneten Albert Goldmann und die Sängerin und Nachtclubbesitzerin Henny Dallgow und deren Erlebnisse in der Weimarer Republik zur Machtübernahme durch die Nazis. Bedrückende Bilder von SA-Schlägertrupps,  verbale Entgleisungen und Beschimpfungen, einem schweigenden Bürgertum und erfolgreichen Aufstieg der Nazis. Dazu gehörte vor allem auch die sprachliche Vorbereitung und von Goebbels gesteuerte Propaganda, in den damaligen Medien. Über Vorurteile und Feindbilder wurde damals die Öffentlichkeit erfolgreich manipuliert.

afd_goebbels
„Nur wer die Probleme auf die einfachste Formel bringen kann und den Mut hat, sie auch gegen die Einsprüche der Intellektuellen ewig in dieser vereinfachten Form zu wiederholen, der wird auf die Dauer zu grundlegenden Erfolgen in der Beeinflussung der öffentlichen Meinung kommen.“ (Joseph Goebbels); Montage und Text: Ruhrbarone; Foto: Bundesarchiv, Bild 102-17049 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de], via Wikimedia Commons

Tags zuvor (1. Juli 2019) habe ich per Zufall zu Hart aber fair geschaltet, wo AfD-Mitglied und ehemaliger Soldat Uwe Junge zu einer Diskussion unter Moderation von Frank Plassberg eingeladen war. Es war unsäglich, wie sich Junge dort produzieren durfte und die verbalen Ausfälle seiner Parteifreunde und daraus resultierende Hasstiraden bagatellisieren konnte. Durch subtile sprachliche Manipulationen, die Junge „gelernt“ hat, und Hassreden* gerade auch in den sozialen Netzwerken verroht das Diskussionsklima weiter und es wird Gewalttätigkeit enorm angeheizt. Dafür sind die entsprechenden Autoren verantwortlich und man kann das eben nicht einfach mal wegdiskutieren und -interpretieren, wie es Junge versucht hat.

Der Weg von solchen verbaler Gewalttätigkeit zu realer Gewalt und Schlägertrupps ist nicht weit. Genau das hatten wir in Weimar schon einmal. Ein weiterer „Höhepunkt“ war dann noch, wie er sich als als Freund von Polizei und Bundeswehr produzierte. Die seien nun einmal bürgerlich konservativ, so, wie er sich zu präsentieren suchte. Wahrlich ein Trauerspiel, dass die anwesenden anderen Diskutanten und auch der eher zu faire, denn harte Frank Plasberg dem Kommunikationsexperten Junge – siehe unten – wenig entgegen halten konnten. Zur Analyse seit der Spiegel-Artikel von Arno Frank empfohlen. Oder auch:

Frank Plasberg scheiterte an diesem Gast, er musste scheitern, weil sein Fokus auf fair, nicht auf hart lag.

über Es gibt keinen echten Dialog mit Rechtsextremen – SZ Magazin

Hier ein interessanter Twitter-Thread, in dem Daniel Lücking die Person Uwe Junge und seine „Kompetenzen“ darlegt. Unbedingt den Tweetverlauf lesen. Sehr erhellend. Danke an Simon Hurtz auf Piqd.

Daniel_Lücking_auf_Twitter___Nachklapp_zu__hartaberfair_im__DasErste__Es_ist_nicht_zu_rechtfertigen__was_Junge_unwidersprochen_äußern_durfte__Besonders__weil_die_Redaktion_nachlässig_recherchiert_hat___wesentliche_Ansatzpunkte_nicht_nutzte_.png

* Mit Hate Speech ist vor allem vorurteilsgeleitete abwertende Sprache gemeint, aus:

(Stefan Pfeiffer)

 

Ja, wir brauchen Solidarität mit Politikern, die Flagge zeigen, aber wir brauchen noch viel mehr – Replik auf Gustav Seibt

21. Juni 2019 Posted by Stefan Pfeiffer

Ich erinnere mich noch gut an meine Zeit als freier Journalist bei der WNZ, wo ich das Handwerk lernte und mir einige Mark dazu verdiente. Nach kurzer Zeit lernte ich die Lokalpolitiker und deren Alltagsgeschäft näher kennen. Mehrere Abende – meist am Freitag oder Wochenende – habe ich den damaligen Landrat Gerhard Bökel quasi verfolgt … von einer Karnevalssitzung zur nächsten. Drei oder vier Sitzungen haben wir gemeinsame besucht. Eigentlich hätten wir ein Auto nehmen können.

Oder ich habe über die Lokalpolitik in meinem Heimatort –  4 Orte, die zu einer Stadt zusammengeschlossen wurden – berichtet und beobachtet. Sehr oft ging es dort doch nach dem Motto, wenn Du dem Bau des Sportplatzes in Ort A zustimmst, bekommt Ort B im kommenden Jahr das Feuerwehrhaus durchgewunken. Persönlicher Höhepunkt war dann vor einer Kommunalwahl, als Vertreter dreier unterschiedlicher Parteien mich fragten, ob ich nicht für sie kandidieren wolle.

Lokalpolitik ist auch hartes Brot. Man lernt das Geben und Nehmen und die Kunst des politischen Kompromisses, auch etwas die Interessenpolitik und das Geschachere. Doch Lokalpolitik ist notwendig. Man ist ganz nahe am Bürger und kann direkt vor Ort wirken und auch Ergebnisse sehen. Wie viele andere habe ich mich aber nicht durch gerungen, mich lokal in der Politik und in einer Partei zu engagieren. Vielleicht habe ich mich als zu gut dafür gehalten oder manche Kleingeisterei hat mich abgeschreckt. Ist jetzt auch egal.

Was nicht erst seit dem Mord an Lübcke erschreckend ist, ist jedoch, dass Lokalpolitiker/innen und Politiker/innen generell mit Schmutz beworfen, nicht mehr nur verbal sondern auch real angegriffen werden. Gustav Seibt – deutscher Historiker, Literaturkritiker, Schriftsteller und Journalist – hat das Thema in der Süddeutschen Zeitung in einem ausführlichen Artikel aufgegriffen.

An der Basis ist unser politisches System ziemlich wehrlos. Sollen sich Bürgermeister und Landräte nicht mehr auf Dorffeste trauen können, wenn sie Entscheidungen treffen, die einem radikalisierten Teil der Bürgerschaft nicht gefallen? Das hätte verheerende Folgen fürs Funktionieren von Politik und kommunaler Selbstverwaltung.

Er schließt seinen Beitrag mit folgendem Satz:

Wenn Politiker vor Ort bedroht, gar ermordet werden, wenn die Grundvoraussetzung der Ordnung, das staatliche Gewaltmonopol herausgefordert wird, dann ist es Zeit für eine Solidarität, die sich nicht im Symbolischen erschöpft.

über Kriminalität: Und wenn keiner mehr den Job machen will? – Kultur – Süddeutsche.de

Das kann ich nur unterschreiben. Und es gilt nicht nur für Politiker/innen, sondern auch für  Meinungsführer/innen und Journalisten/innen wie eine Ferda Ataman oder eine Dunya Hayali. Das sollte nicht sein. Das kann nicht sein. Da muss man sich solidarisch erklären und das auch bekunden. Und die Angriffe müssen auch strafrechtlich verfolgt werden.

Ich persönlich weiß nicht, ob ich diese Art und den Ton der verbalen Anfeindungen, der Gossensprache und des blanken Hasses und der Dummheit ertragen könnte und wie schnell ich in meiner Höhle verschwinden, in meiner Privattheit abtauchen und mich zurückziehen würde. Ich kann nochmals den Hut vor allen ziehen, die Flagge zeigen und gegen halten.

Doch wie erklärt man sich solidarisch? Wie zeigt man Flagge? Gustav Seibt als ein klassischer Vertreter seiner, äh meiner Generation fordert dazu auf, in die Parteien zu gehen und sich dort zu engagieren. Sich nur mal im Netz und in den sozialen Medien zu äußern, reiche nicht aus, ja sei nur eine Art Symbolik und Ersatzpolitik, Das florierende Genre der Social-Media-Kritik kennzeichnet er als hinterwäldlerisch.

Na ja, umgedreht sehe ich in diesen Aussagen von Seibt auch etwas Hinterwäldlerisches. Gerade meine, unsere Generation, auch die politischen Parteien haben noch immer nicht verstanden, dass „das Netz“ in all seinen negativen wie auch positiven Ausprägungen heute politische Realität und auch Ort der politischen Manifestation und Bildung von Meinung ist. Die Meinungsmacht verlagert sich langsam aber sicher ins Netz, wie eine aktuelle Studie gerade (wieder) bestätigt. Das sollte man einfach so abtun, schlecht reden, sondern vielmehr überlegen, wie man „das Netz“ für demokratische Kräfte zurückerobert und in den politischen Diskurs konstruktiver integriert.

Politische Meinungsbildung findet heute nicht mehr nur in der Süddeutschen, FAZ oder in der BILD statt. Es reicht nicht mehr nur, seine Birne in die Fernsehkameras von ARD und ZDF zu halten und damit hat man „die Wähler“ erreicht. „Das Netz“ ist gerade bei den Jüngeren gesetzt. Und Ihr ewig Gestrigen seht das endlich mal ein und lasst uns gemeinsam die Chancen ergreifen und die Auswüchse konsequent bekämpfen! Wir dürfen „das Netz“ nicht der AfD, anderen politisch extremen Strömungen oder auch Datenkraken und -monopolen überlassen. Dort, im Netz, entscheidet sich einer großer Teile unserer politischen Zukunft.

Und den Ausspruch und die Aufforderung mal brav wieder in Parteien zu gehen und sich dort zu engagieren, kann ich persönlich zugegebenermaßen auch kaum noch hören. Bis auf eine Partei, die gerade „ge-hyped“ wird und deren Mitglieder und Politiker bald in der regierenden Realpolitik harten Herausforderungen an ihr Selbstverständnis begegnen werden, stoßen mich (und viele andere) die etablierten Parteien immer wieder und sehr konsequent ab. Klöckner und Nestlé oder Unionsfreund Scheuer und seine Verschwörungstheorien sind ebenso abtörnend wie das Versagen in der SPD oder die wirren neoliberalen Sprüche von Politikprofi Lindner.

Wenn Parteien wieder mehr Mitglieder haben wollen, müssen sie sich ändern, im Verhalten ihrer Führungsspitze, wie auch in den Möglichkeiten, sich gegenüber politisch Interessierten zu öffnen und diese in Diskussionen einzubinden. Ich zweifele daran, dass „die Parteien“ derzeit „die junge Generation“, die gerade bei Fridays for Future demonstriert oder sich das Rezo-Video „reinzieht“, abholen kann und wird.

Gerade aber „die Jüngeren“ braucht unsere Demokratie. Die haben durchaus – um mit dem Video der DFB Fußballfrauen zu sprechen – nicht nur Eier in der Hose, sondern auch einen Pferdeschwanz. Sie gehen nämlich auf die Straße und zeigen Flagge, etwas was meine, unsere Generation aus vielen von Seibt beschriebenen Gründen nicht mehr oder zu wenig tut. „Diese Jungen“ machen mir echt Mut. Der Pöbel von AfD und Konsorten macht mir Angst.

Relevante Fragen sind also aus meiner Sicht:

  • Wie öffnen wir „die Politik“ wieder für die jüngere Generation und ermögliche ihnen aktive Partizipation auch jenseits der gewohnten Parteipolitik und -zugehörigkeit?
  • Wie öffnen sich „die Parteien“ für politisch Interessierte, Jüngere und Ältere, und schrecken nicht nur ab?
  • Wie integrieren wir „das Netz“ konstruktiv in die politische Diskussion, statt es als Hort der Verdammnis Radikalen und Kommerz zu überlassen?

In diesen Fragen spielt meiner Meinung nach viel Musik.

(Stefan Pfeiffer)

 

Parteien und das Netz heute: „Völlig losgelöst, von der Erde, zieht …“ – ein „Pressespiegel“ #ForTheWeb

31. Mai 2019 Posted by Stefan Pfeiffer

Die Äußerungen von AKK zur Regulierung von Meinungsäußerungen im Internet vor Wahlen habe ich ja hier im Blog kritisiert. Ein Zensur kann und darf es nicht geben, wenn Meinung sich im Rahmen unserer Grundwerte bewegen. Und das tut Rezo. Punkt.

Doch sind die Ereignisse darüber hinaus sehr relevant. Die heutige Politik ist völlig losgelöst von der Erde und von vor allem der jüngeren Generation. Hier einige aus meiner Sicht relevante Zitate von Bloggern, Journalisten, Politikern, kurz nicht nur netzpolitisch Engagierten.

Marvin Strathmann schreibt pointiert, höhnisch und treffend auf heise zu AKK:

Sie wundert sich, warum denn in Deutschland jeder seine Meinung sagen darf. Einfach so. Ohne vorher die CDU zu fragen. Und das auch noch in diesem Internet.

Damit greift Kramp-Karrenbauer die Grundlage unserer Freiheit an: das Grundgesetz und die Meinungsfreiheit.

über Kommentar zu AKKs Netz-Schelte: Ein Angriff auf die Grundlage jeder Freiheit | heise online

Die Aussagen von AKK mögen – wie es „Digitalministerin“ Doro Bär sagt – unglücklich sein, zeugen aber auch von einer Ignoranz und Unkenntnis der nicht mehr ganz so neuen sozialen Medien, die erschreckend ist. Leider sehr wahr, was CSU-Bär im Interview der FAZ sagt:

Die Debatten laufen einfach auf Plattformen, von denen der normale F.A.Z.-Leser ebenso wenig Notiz nimmt wie der normale Politiker, der seinen Pressespiegel liest.

über Rezo-Video: „Jugendliche wollen kein endloses Gerede“

Philipp Jessen, Geschäftsführer von Storymachine, stellt im Tagesspiegel fest, dass der Pressespiegel heilig ist, die durchaus lebhafte Diskussion nicht der Jüngeren auf den sozialen Kanälen von etablierten Politikern oft gar nicht wahrgenommen wird. Aus Ignoranz. Aus Unkenntnis. Aus Verharren auch in einem System Merkel (so viel durchaus Gutes die Kanzlerin getan hat).

„Die Jugend“ ist wieder politischer, aber keiner geht hin. Oder keiner der etablierten Parteien hört zu und pflegt einen Dialog. Philipp Jessen nochmals:

Was zu tun ist? Nicht aktivistisch ein paar hippe Leute einstellen. Ein paar Flachbildfernseher an die Wand hängen und Newsroom spielen. Sondern die gesamte Kommunikation überdenken. … Aber vor allem: Den Kern von Social Media endlich verstehen und leben: Dialog. Augenhöhe. Echtzeit. Haltung. Klarheit.

über Warum Politik Social Media nicht versteht – Tagesspiegel Background

Und vor allem das Feld nicht dem Gepöbel und Rechtspopulismus der AfD und anderer Radikaler überlassen. Die AfD scheint die einzige Partei zu sei, die die Klaviatur des Netzes spielt, wie es Thomas Knüwer analysiert:

Aktiv posteten AFD-Anhänger ihre Präferenzen, sehr aktiv mischten sie sich in Diskussionen ein. Die Erzählweise war homogen: Die AFD ist die einzige Partei, die einfache Bürger verteidigt, die Grünen sind weltfremd, wer AFD wählt ist mutig, wer die AFD kritisiert ein Idiot. Und natürlich: Die AFD ist keine Nazi-Partei. …

Anhänger anderer Parteien waren kaum zu sehen und wenn, wurden sie direkt niederkommentiert.

über Die Unterschätzung des digitalen Raumes durch Politik und Medien – Indiskretion Ehrensache

Die anderen Parteien finden in den sozialen Medien nicht statt. Stattdessen tröten AfD, Trump und deren Geistesgenossen in eine laut im Netz zu vernehmende Trompete. Traurig, Tragisch. Nicht akzeptabel. Es gibt wichtige und relevante Themen jenseits von AfD-Geschwafele und von Trump-Triaden, die durchaus auf YouTube, Twitter oder Facebook konstruktiv diskutiert werden.

Doch die althergebrachten Parteien versagen nicht nur im Netz. Sie nehmen vor allem „die Jugend“ und „das Netz“ nicht ernst. Sie nehmen auch die Inhalte nicht ernst (genug), die von vielen politisch Interessierten und auf Demos vertreten werden. „Das Netz“ ist weiter „Neuland“, nein eher Moria, die dunklen Lande, ein Ausbund des Bösen, das bekämpft, reguliert, ja zensiert werden muss. Das Kind wird dabei mit der Wanne ausgekippt. Russische und andersländische Trolle oder Meinungsmache und Kampagnen Radikaler werden vorgeschoben, um nicht konstruktiv im und mit dem Netz, vor allem mit Jugendlichen und politisch Interessierten auf Augenhöhe zu kommunizieren.

Sascha Lobo bringt es auf den Punkt;

Es geht nicht um das Medium, sondern um politische Inhalte, um das Fortbestehen des Planeten etwa. Aber auch um das Vertrauen, das die Union zerstörte durch ihre komplette Missachtung einer digitalen Generation, indem sie ohne Rücksicht, ohne Dialog, ohne Sachverstand oder auch nur Respekt die Urheberrechtsreform durchgeprügelt hat.

über Annegret Kramp-Karrenbauer und das Rezo-Phänomen: Marathon im Fettnapf – SPIEGEL ONLINE

Ich muss an eine Talkshow, in der sich FDP-Lindner mit Grünen-Habeck auseinandergesetzt hat und Lindner in seiner gewohnt arroganten Art nationale Initiativen im Bereich Umweltschutz und Klimawandel als unsinnig, weil nur national nicht wirksam, abkanzelte und von den Grünen als „Klimanationalisten“ sprach. Ob sich das Jugendliche ernst genommen fühlen. Er setzt ja noch einen drauf:

Hier zeigt sich eine Einstellung und die erwähnte Arroganz vieler „Berufspolitiker“: Ihr habt ja keine Ahnung. Lasst uns mal machen.

Habt „Ihr Politiker“ denn noch immer nicht verstanden, dass Ihr genau dadurch „die Jugend“ verliert?

Axel Voss, Christian Lindner, Annegret Kramp-Karrenbauer und viele andere bornierte (oft) Berufspolitiker alter Schule sind dafür verantwortlich, dass sich die Jugendlichen von ihren Parteien und der bisherigen Parteienpolitik und ignoranter Berufspolitiker abwenden. Die Jugendlichen sind nicht für die Gestaltung unserer Gesellschaft verloren. Sie haben Werte. Sie engagieren sich. Wo und wie sie sich aber in unserer Demokratie wie verorten, das ist noch ein spannendes Thema.

Thomas Knüwer hat eine interessante Analyse geschrieben und dabei einige neuralgische Zonen zerpflückt. Er fordert eine Reform, die aus meiner Sicht dringend notwendig ist:

Was wir eigentlich bräuchten, wäre ein Aufstand der Demokratiewilligen in den Institutionen, in Parteien, parteinahen Vereinen und genauso in Medien. Eine Art Mondays for Future (meinetwegen auch jeden anderen Wochentag), also Tage, an denen diese Menschen auf die Barrikaden gehen, die Gestrigen zur Aufgabe fordern um Platz zu machen für jene, die noch etwas bewegen und nicht den Niedergang verwalten wollen.

über Die Unterschätzung des digitalen Raumes durch Politik und Medien – Indiskretion Ehrensache

Was mir dabei fehlt ist natürlich, dass wir dies zusammen mit der #FridaysForFuture-Bewegung und anderen politischen Initiativen und Aktiven tun sollten. Es braucht eine Allianz derjenigen, die sich schon lange im  Netz engagieren – inklusive der alternden Schlagersänger der Netzszene – und der aktiven Jüngeren. Dabei würden und werden sicher die Fetzen fliegen, aber das ist notwendig, ein Stück gelebter Demokratie.

Nachtrag: Bemerkenswert finde ich die Auflistung  der gescheiterten Digitalprojekte der Bundesregierung des letzten 15 Jahre Merkel von E-Government, Netzsperren bis Leistungsschutzrecht, die Sascha Lobo zusammengetragen hat. Auch das zeigt das Unverständnis und Versagen der alten Parteien und Berufspolitiker:

In dunklen Ecken des Internets sagt man dazu: Was der Bund im Digitalen anfasst, wird zu Stuhl.

über Annegret Kramp-Karrenbauer und das Rezo-Phänomen: Marathon im Fettnapf – SPIEGEL ONLINE

(Stefan Pfeiffer)

P.S. Ganz anderer Nachtrag: Jenseits von Politik und Pressespiegel: Denken wir mal daran, wie Kommunikation heute noch in vielen Unternehmen läuft. Sehen wir da Parallelen?????

Wild, kreuz und quer, rein subjektiv in der FAZ gelesen: Böse soziale Medien, Linksliberale sind schuld an allem, Digitalisierung und Merkel-Jahre – und, und, und …

24. November 2018 Posted by Stefan Pfeiffer

Ich habe eine emotionale Beziehung zur Frankfurter Allgemeinen. Als Student und angehender Journalist durfte ich dank Dietrich Ratzke dort ein Praktikum in der Neue Medien-Redaktion – ja, gab es mal, da wurden BTX, Radio und Fernsehen „gemacht“ absolvieren. Doch diesmal haben mir einige Journalisten der FAZ dem Samstag morgen versaut.

Herausgeber (!!) Holger Steltzner kommentiert auf Seite 1:

Bis vor kurzem bildeten Fakten die Grundlage für einen rationalen Diskurs. Heute ist das anders. Liegt das vielleicht daran, dass die Hysterie aus den sozialen Netzwerken, in denen sich alle ständig aufregen und Verschwörungstheorien besonders gut ankommen, auf die politischen Debatten des Landes überschwappt? Man darf Fakten als „Fake News“ verunglimpfen, solange man auf der „richtigen“ Seite steht.

über Kommentar zu Hartz-IV: Politik mit Flüchtlingskindern – FAZ

Und wieder sind die bösen sozialen Medien schuld. Ich kann es bald nicht mehr hören. Im 19. Jahrhundert war die Zeitungen schuld, die erstmals im Rahmen einer erkämpften Pressefreiheit Informationen und Meinung an ein breiteres Publikum verteilten. [Ironischerweise war (und ist heute teilweise noch) auf der nicht konservativen Seite die BILD-Zeitung schuld. Auch für mich, aber man muss sie ertragen.] Als das Radio aufkam, war es an der Verrohung der Informations- und Diskussionskultur schuld. Dann kam das Fernsehen, ein Teufelswerkzeug. Auch dieser neue Kanal war und ist wieder schuld. Besonders – laut Rechtspopulisten – die Öffentlich-Rechtlichen. Und natürlich die sozialen Medien.

Ich kann nur immer wiederholen, dass wir uns den Herausforderungen der sozialen Medien, die es zweifelsfrei gibt, stellen müssen. Nicht umsonst habe ich die Tage vom Würgegriff durch Kommerz auf der einen und Populismus und Stimmungsmache auf der anderen Seite geschrieben. Kommentare, wie die von Holger Steltzner, sind kontraproduktiv, fördern Vorurteile und halten Bürgerinnen und Bürger von den sozialen Medien fern. Genau das darf nicht passieren. Wir dürfen die sozialen Kanäle eben nicht den Populisten mit Fake News überlassen!

Jeder Einzelne ist dafür verantwortlich, das Web zu einem besseren Ort zu machen – Tim Berners-Lee, zitiert nach SPIEGEL ONLINE

Mein Blut in Wallung gebracht hat dann auch der Beitrag von Philipp Krohn im Wirtschaftsteil der FAZ in „Die Lounge“. Er beklagt auf der einen Seite. dass sich Linksliberale abschotten und in ihrem Milieu verharren und dabei eine Lücke hinterlassen. Linksliberale verweigern und boykottieren – so verstehe ich Krohn – vermeintlich aus „Political Correctness“ Diskussionen über heikle Themen . Antisemitismus bei jugendlichen Muslimen werde deshalb nicht angeprangert. Frauenquote sei nicht diskutierbar. Es gipfelt in dem Satz:

Aber haben sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, dass es vielleicht genau deshalb AfD-Positionen geworden sind, weil sie von einem bornierten, scheinbar liberalen Großbürgertum als inakzeptabel und nicht verhandelbar diffamiert werden?

in FAZ; 24.11.2018, Link folgt, sobald verfügbar

In weiteren Absätzen werden die wohlsituierten Linksliberalen weiter hart rangenommen. Sie isolierten sich in Stadtteilen, quasi Elitevierteln, in denen untere Schichten und Migranten nicht anzutreffen seien. Krohn macht fast alle politischen Fässer auf, die derzeit aktuell sind.

Meine Beobachtung als jemand, der seit Jahren mit einer Hildegard Hamm-Brücher, einem Gerhard Baum, einem Klaus von Dohnanyi sympathisiert hat und sich selbst als linksliberal bezeichnen würde, ist, dass die Linksliberalen sicher nicht mehr in der FDP daheim und zu finden sind. Auch bei der SPD wird es leider dünne. Und andere sind apolitisch geworden. Da bin ich noch am ehesten bei Krohn. Doch viele sind wohl zu den Grünen gegangen und finden dort eine neue Heimat. Nur mach bitte nicht die Linksliberalen für mangelnden politischen Diskurs und fehlende konstruktive, öffentliche Diskussion, ja gar für das Erstarken der AfD verantwortlich. Da gibt es viele andere, gewichtigere Gründe.

Für diese Meldung kann die FAZ nichts. Hat mir aber auch den Morgen nicht besser gemacht. Der „Spiegel“ hat mal wieder recherchiert und den Münchener Milliardär August von Finck als potentiellen Förderer der AfD identifiziert. Ich habe ja hier schon kommentiert.

Im Zuge der Spenden-Affäre der AfD gibt es offenbar neue Hinweise auf einen Finanzier. Laut dem „Spiegel“ und der Schweizer Wochenzeitung „WOZ“ soll der bayrische Unternehmer August von Finck, der in der Schweiz lebt, die rechte Partei unterstützt haben.

über AfD: Unterstützung vom Münchener Milliardär August von Finck? – FAZ

Und zum versöhnlichen Ende: Lesenswert finde ich die Analyse von Eckart Lohse und Markus Wehner über Die Merkel-Jahre und die Digitalisierung, die über Angie und uns hereingebrochen ist – und für die sie nichts kann, aber zu spät reagiert hat. Blicken wir zurück:

Als Angela Merkel vor dreizehn Jahren, am 22. November 2005, zur Bundeskanzlerin gewählt wurde, war die Welt noch eine andere. Es gab noch kein iPhone und auch kein iPad. Das bekannteste Smartphone trat seinen Siegeszug erst zwei Jahre später an, das entsprechende Tablet kam erst 2010 auf den Markt.

Auch Facebook auf Deutsch existierte noch nicht, ebenso wenig Whatsapp oder Instagram. Deutschland war eine digitale Wüste.

über 13 Jahre Merkel: Wie sich Deutschland gewandelt hat – FAZ

Der Beitrag ist leider noch nicht komplett online verfügbar (derzeit kostenpflichtig). Ich finde ihn bemerkenswert, weil die Autoren die 13 Merkel-Jahre Revue passieren lassen und vor allem auf die Geschwindigkeit der Veränderung eingehen. Ich stimme nicht mit jeder Analyse überein, doch einige Kernsätze

Doch keine Veränderung der Merkel-Jahre springt buchstäblich so ins Auge wie die Digitalisierung. …

Das Netz ist allgegenwärtig, und zwar immer und bei allen. …

Vor allem die sozialen Netzwerke haben das Alltagsleben sehr vieler Menschen durchdrungen.  … Der Online-Handel und damit der Niedergang von Einkaufsläden nebst ihrer sozialen Funktion breitet sich lawinenartig aus. …

Das weite Teil des Berufs- und Privatlebens sich ins Netz verlagert haben, verschafft den Menschen enorme Vorteile. Ebenso sorgt es aber für Entgrenzung, vor allem aber Beschleunigung.

über 13 Jahre Merkel: Wie sich Deutschland gewandelt hat – FAZ

Lesenswert und diskussionswürdig, der Beitrag. Mir scheint, dass Angela Merkel und die Bundesregierung erst in der jetzigen Legislaturperiode endlich zum Thema Digitalisierung in vielen ihrer Aspekte aufgewacht ist und initiativ wird. Nochmals: Für die Digitalisierung kann Angela Merkel sicher nichts, aber sie hätte wesentlich früher agieren müssen.

So, bevor ich mich weiter aufrege, verzichte ich auf Kommentare zum desolaten Zustand von Bundeswehr und Deutscher Bahn, zweier Vorzeigeikonen Deutschlands, die mehr als starke Risse bekommen haben. Ich reagiere mich lieber gleich beim Sport ab. In diesem Sinne schönes Wochenende!

(Stefan Pfeiffer)

Kurz notiert: Grüne Wähler sind immun gegen die AfD – Profil als liberales Bollwerk gegen rechts | NZZ

23. November 2018 Posted by Stefan Pfeiffer

Eine lesenswerte Analyse zum gegenwärtigen Boom der Grünen von Andreas Ernst in der NZZ. Als „Revolutionäre von rechts“ würde ich die AfD bezeichnen, aber sonst …

Anders als SPD und CDU müssen sie keine Rücksicht nehmen auf Stammwähler, die sich von Migration und Globalisierung bedroht fühlen. Grüne Wähler sind immun gegen die AfD. So kann sich die Partei als liberales Bollwerk gegen die «Revolutionäre von rechts» profilieren: im Kampf für die offene Gesellschaft, gegen die nationale Volksgemeinschaft, für Kosmopolitismus und gegen Nationalismus (den Patriotismus allerdings reklamieren die Grünen jetzt auch für sich).

über Die grüne Bourgeoisie und ihr halbierter Liberalismus | NZZ

(Stefan Pfeiffer)

„Ein stockkonservatives bis rechtsradikales Milieu von einigen Unternehmern, Erben und Ex-Adligen lässt der AfD Millionenwerte zukommen“

18. November 2018 Posted by Stefan Pfeiffer

Nicht nur für das Protokoll, sondern als Mahnung und Aufforderung an uns alle, wachsam zu sein und zu handeln. Wir hatten so etwas in brauen Zeiten schon einmal.

Ein stockkonservatives bis rechtsradikales Milieu von einigen Unternehmern, Erben und Ex-Adligen lässt der AfD Millionenwerte zukommen. Auf eine Weise, die allem Hohn spricht, was im AfD-Wahlprogramm unter heftiger Beschimpfung anderer Parteien als „restriktive Neuordnung der Spendenregelungen“ gefordert wird.

über Spendenaffären: Die AfD ist sehr wohl eine „Partei der großen Leute“ – WELT

(Stefan Pfeiffer)

Vor den Ergebnissen in Hessen: „Die Ränder sind laut, aber die Mitte sind viele.“

28. Oktober 2018 Posted by Stefan Pfeiffer

10:28 in Darmstadt vor der Hessen-Wahl. Stimme noch nicht abgegeben. Eine positive Perspektive von Heinrich Wefing auf die aktuellen politischen Ereignisse. Er interpretiert die Demonstrationen in Berlin und London, die hohe Wahlbeteiligung in Bayern und hoffentlich heute Hessen als Zeichen, dass ich Bürgerinnen und Bürger wieder engagieren. Und ich benutze hier bewusst das Wort Bürgerinnen und Bürger. Ich hoffe, dass Wefing das alles richtig interpretiert.

Weil die Agonie der großen Koalition nicht mehr zu ertragen ist. Weil die Frage „Was denn dann?“ angesichts der Kollateralschäden des „Weiter so!“ verblasst. Weil das langsam denkbare Ende von Merkel (und Seehofer) die politische Fantasie in Gang setzt.

Weil eine gewaltige Mehrheit in diesem Land keinen Rechtsruck will und schon gar keine Revolution, von der manche AfDler fabulieren.

Und noch etwas haben die Demonstrationen und Wahlergebnisse gezeigt: die Größenverhältnisse – auf der Straße und im Netz. Die Ränder sind laut, aber die Mitte sind viele.

über Demokratie: Das sind Aussichten! | ZEIT ONLINE

Die FAZ auf der Titelseite des Lokalteils am gestrigen Samstag. Man schreit wohl nach Stabilität. Nach weiter so. Befürchte beziehungsweise nur, dass es nicht weiter so gehen kann und wird.

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(Stefan Pfeiffer)

Trotz oder wegen Angst for Rechtspopulisten: Engagement ist gefragt (Aufruf von Sibylle Berg)

30. September 2018 Posted by Stefan Pfeiffer

„Die Mischung aus martialischer Gewaltdemonstration, Einschüchterung, Verächtlichmachung wirkt. Sie macht Angst.“

aus: Kampf gegen rechts- Ran an die Arbeit, Spiegel Online

Sibylle Berg, geboren am 2. Juni 1962 in Weimar, DDR) deutsch-schweizerische Schriftstellerin und Dramatikerin, Autorin von Romanen, Essays, Kurzprosa, Theaterstücke und Hörspielen und Kolumnistin hat im Spiegel einen beeindruckenden Artikel zur aktuellen politischen Situation mit Rechtspopulisten und AfD veröffentlicht.

Sie beschreibt die derzeitige „Dagegen sein“-Stimmung, den Verfall der Sitten – welch ein altmodisches Wort in der heutigen Zeit -, wo antisemitische Beschimpfungen, Gewaltparolen und Nazigruß wieder zu hören und zu sehen sind, und die Sprach- und Handlungslosigkeit der (hoffentlich) Mehrheit, der politischen Mitte oder der ehemals unpolitischen oder einfach den humanistischen Menschen. Erneut ruft sie dazu auf, sich zu engagieren und Widerstand zu leisten und … in eine Partei einzutreten. Dies sei bei aller Zähigkeit der Parteiarbeit die derzeit beste Form, sich zu engagieren.

Den Beitrag unbedingt lesen!

P.S. Widerstand leisten und Rückgrat zeigen, sollte heutzutage keine Frage mehr sein. Beim Thema Parteieintritt habe ich noch meine Zweifel, wenn ich mir die Akteusen und Akteure derzeit anschaue.

Sibylle Berg auf Twitter

Ihre Website: http://www.sibylleberg.com

Ursprünglich erschienen auf Trotz oder wegen Angst for Rechtspopulisten: Engagement ist gefragt (Aufruf von Sibylle Berg) — StefanPfeiffer.Privat