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Die CovPass-App: Der digitale Impfnachweis im Einsatz – Mein Gespräch mit Ronald Fritz von der IBM

29. Juni 2021 Posted by Stefan Pfeiffer

Heute hatte ich die Chance, im IBM Livestudio Magazin mit Ronald Fritz zu sprechen. Ronald verantwortet bei der IBM in der DACH-Region die Health-Lösungen, darunter auch die neue CovPass-App, die seit rund zwei Wochen „in Betrieb“ ist. Er stellte vor zwei Wochen auf dem Podium der Bundespressekonferenz zusammen mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und RKI-Präsident Lothar Wieler die App vor. Über 40 Millionen Impfzertifikate sind unterdessen bereits ausgestellt worden und mittlerweile läuft alles reibungslos. Das Projekt wurde unter höchstem Zeitdruck umgesetzt, denn vor der Reisezeit sollte eine Lösung vorhanden sein, damit die Bürgerinnen und Bürger mit einem sichereren Gefühl in den Sommerurlaub gehen können.

Das konnte nur durch die gute Zusammenarbeit der beteiligten Partner geleistet werde. Die Anwendung des Unternehmens UBIRCH stand bereits zur Verfügung. Mit IBM war dann auch der Partner gefunden, der für die nötige Skalierung dieser Lösung sorgen konnte. govdigital und Bechtle arbeiten in der technische Umsetzung und im Support mit. Ronald und sein Team konnten in dem Projekt, auf ihre langjährigen Erfahrungen im Gesundheitswesen mit der elektronischen Gesundheitsakte, der elektronischen Patientenakte oder auch mit der IBM Gesundheitsplattform in das Projekt einbringen, was sicherlich zur schnellen Umsetzung beigetragen hat. Eine sicherlich nicht ganz einfache Aufgabe, dem föderal organisierten deutschen Gesundheitssystem mit einer Vielzahl von Playern.

Der jetzige digitale Impfnachweis wurde spezifisch für die Covid-Impfung entwickelt und ist sowohl in die Corona Warn-App integriert und es gibt mit der CovPass-App eine dedizierte Extra-App für den Impfnachweis. Doch wie Ronald darlegt gibt es weitergehende Pläne. Von Anfang an war ein generischer digitaler Impfpass mit gedacht, der in die elektronische Patientenakte eingebettet sein soll. Die nächste Ausbaustufe ist also, dass das bekannte gelbe Impfbuch 2022 komplett in die ePA integriert wird. Auch gibt es bereits Anfragen für weitere mögliche Einsatzgebiete in anderen Umgebungen. Man denke an all die Branchen, die in Pandemiezeiten Einlasskontrollen durchführen müssen.

Unterdessen wird der digitale Impfnachweis in der Arztpraxis oder in einem Impfzentrum generiert. Nach Eingabe oder Übernahme der Daten wird ein 2D-Barcode erstellt, den die Nutzer auf einem Papierausdruck mitbekommen und später mit der CovPass-App oder der Corona-Warn-App einscannen und nutzen können. Die App speichert die Impfbescheinigung dann ausschließlich lokal auf dem Smartphone.

Die Bürgerinnen und Bürger können die CovPass-App in den entsprechenden App Stores herunterladen. Zugleich erfolgte ein Update der Corona-Warn-App, die ebenfalls die Möglichkeit des Einscannens und Verwaltens der digitalen Impfzertifikate bietet.

Alle, die bereits geimpft wurden, können sich den QR-Code auch nachträglich ausstellen lassen. Wenn sie in einem Impfzentrum geimpft wurden, bekommen sie den QR-Code in der überwiegenden Zahl der Bundesländer per Post nachgeschickt oder sie erhalten ihn durch Online-Portale. Ergänzend können auch Apothekerinnen und Apotheker sowie Ärztinnen und Ärzte nachträglich Impfnachweise ausstellen. Und hier findet man weitere Informationen zur CovPass-App

Bewegungsdaten beim Sturm auf das Capitol, Bewegungsdaten und die Corona Warn App – wir müssen über Datenschutz und Datennutzung reden

11. Februar 2021 Posted by Stefan Pfeiffer

Das Zitat von Heinz-Paul Bonn schlummert seit einiger Zeit als Entwurf in meinem Blog. In seinem Beitrag vom 2. November 2020 geht es darum, dass wir harte Datenschutzbestimmungen zum Beispiel bei der Coron Warn App anwenden, andererseits aber viele Bürger:innen ihre Daten ganz freiwillig auf sozialen Netzwerken preisgeben, generell im Netz teilen. Datenschutz einerseits, die (aus meiner Sicht oft einfach unüberlegte) Weitergabe der Daten andererseits, das sei paranoid. In Deutschland seien Daten immer noch etwas, was weg gesperrt gehöre und er führt einige Beispiel auf. Konkret stellt er die Frage, ob denn Datenschutz höher anzusiedeln sei als Gesundheitsschutz.

Wir brauchen ein Grundrecht auf Datenweitergabe im Notfall. Und diesen Notstand haben wir doch längst ausgerufen. Es gibt keinen Grund, dieses Freiheitsrecht, das die meisten Deutschen sowieso freiwillig mit Füßen treten, unangetastet zu lassen. Es wird Zeit für eine öffentliche Debatte über unser Verhältnis zu Daten.

Grundrecht auf Datenweitergabe | bonnblog.eu

Ich habe das damals schon bei ihm wie folgt kommentiert (kursiv): Dass viele ihre Daten bewusst oder unbewusst oder aus vermeintlichem Mangel an Alternativen Google, Facebook & Co in den Rachen schmeißen, kann nicht als Argument benutzt werden, Datenschutz aufzugeben, aber ich bin ein absoluter Freund einer auf Freiwilligkeit basierenden Datenweitergabe. Und das nicht nur seit Covid19. Meine Erfahrungen als Patient sagen mir zum Beispiel, dass ich eine Patientenakte will. Freiwillig.

Wir sollten nur nicht zu schnell, unsere Datenschutzprinzipien aufgeben, finde ich. Das wird allenthalben jetzt sehr plakativ gefordert. Wir brauchen Freiwilligkeit, intelligente Modelle und Aufklärung/Weiterbildung. Auch wenn manche offensichtlich nicht aufgeklärt werden wollen, wie wir gerade verhängnisvoll sehen.

In dem Zusammenhang Freiwilligkeit fällt mit die Datenspende-App des RKI ein. Hier kann man seine Daten für die Forschung spenden und sich auch beispielsweise im Corena-Datenspende-Blog informieren, was dahinter steckt. Ich persönlich habe die App als sinnvoll erachtet und bin nun schon lange dabei. Ich glaube, dass man jenseits von Corona durchaus viele solche freiwillige Apps entwickeln könnte. Oder aber es wird transparent und deutlicher gemacht, was man für seine Daten bekommt, Service, Geld … Momentan ist es halt im Nebel.

Nun bin ich auf den Artikel von Jörg Schieb unter Überschrift Sie haben das Capitol gestürmt – ihre Apps haben sie getrackt! gestoßen. Er schreibt darüber, dass der New York Times über 100.000 Ortsdaten von Handys zugespielt wurden. Diese Daten wurden dann analysiert und die Analysten konnte die Bewegung von Menschenmengen, die am 6. Januar das Capitol gestürmt haben, nachverfolgen und in eindeutigen Animationen visualisieren. Jörg schreibt: „Ein eindeutiger Beleg dafür, dass die aufstachelnden Worte von Donald Trump eine Wirkung erzielt haben.“

Ich ertappe mich dabei, dass ich vor mich hin brabbele und bemerke, dass ich schon immer gesagt habe, Trump habe die Massen aufgestachelt und sei mit schuldig. So von wegen Impeachment. und überhaupt. Der vermeintliche Besserwisser aalt sich in den Ergebnissen der Datenanalyse …

… und wird von Jörg dankenswerterweise auch wieder auf den Boden des Datenschutzes zurückgeholt. Den Datenanalysten sei es nicht nur gelungen, die Bewegung nachzuvollziehen, sie seien auch oft in der Lage gewesen, die Besitzer und Personen über die Advertising ID (!!!)* zu identifizieren. Gut so, dann kann man sie ja schnappen, höre ich mich sagen. Aber halt:

Zwar ist es in den USA verboten, Bewegungs- und Kommunikationsdaten auf diese Weise zusammenzubringen. Doch naiv anzunehmen, dass das sonst keiner macht.

Sie haben das Capitol gestürmt – ihre Apps haben sie getrackt! – schieb.de

Zum Punkt: Es ist für mich ein Unterschied, ob man diese Daten so auswertet und zusammenbringt, oder ob man Personen, die beim Sturm auf das Capitol dabei waren, aufgrund oft ihrer eigenen Videos identifizieren und juristisch verfolgen kann.

Und schlagen wir die Brücke zurück zur Corona Warn App und der Diskussion, warum man denn nicht dort die Bewegungsdaten erfasst und auswertet**, natürlich nur im Sinne des Gesundheitsschutzes aller Betroffenen. Zwei Ereignisse, die so nichts miteinander zu tun haben, aber auch zwei Ereignisse, die zeigen, das wir wie es Heinz-Paul und Jörg beide fordern dringend reden müssen, über Daten, der Nutzung und über mehr Aufklärung.

(Stefan Pfeiffer)

* Jörg erklärt es sehr schön: Die Advertising ID ist eine einmalige Zahlenfolge, über die jedes Smartphone eindeutig identifizierbar ist. Sie wir von vielen Datenbanken der Werbeindustrie und App-Anbietern gespeichert. Ich bin übrigens sicher, dass die wenigsten Awender:innen das wissen, womit wir wieder beim Thema Aufklärung sind.

** Auch hier gilt für mich, dass man das erst einmal nicht darf. Dies dürfte erst nach einer entsprechenden Aufklärung und expliziten Zustimmung der Benutzer:innen geschehen.

Die Digitalthemen bei #9vor9: Der Medienstaatsvertrag und Datenschutz rund um die Corona Warn App und das Gesundheitswesen

25. November 2020 Posted by Stefan Pfeiffer

Unsere Digitalthemen in dieser Sendung: Lars hat den Medienstaatsvertrag auf der Agenda, der – längst überfällig – den alten Rundfunkstaatsvertrag ablöst. Hier wird unter anderem die Verantwortlichkeit von Medien wie etwa Online-Streamingdiensten geregelt. Der Medienstaatsvertrag richtet sich vor allem an so genannte „Medienintermediäre“ wie Facebook oder Google, die Inhalte weiter verbreiten. Die müssen jetzt Inhalte gemäß der geltenden journalistischen Grundsätze auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen.

Geklärt ist nun auch, ob und wann Streamer eine Rundfunklizenz benötigen. Demzufolge brauchen Streams, die der Meinungsbildung dienen und mehr als 20.000 gleichzeitige Nutzer über einen durchschnittlichen Zeitraum von 6 Monaten haben eine Rundfunklizenz. Weitere Details wie die Angabe eines inhaltlich Verantwortlichen oder zur journalistischen Sorgfaltspflicht auf Webseiten findet man hier.

Konkurrenz zum geplanten EU Digital Services Act?

Zur Lektüre empfohlen: Dieser Beitrag von der FAZ, der auf Vorbehalte der EU-Kommission wegen des geplanten Digital Services Act eingeht und den Medienstaatsvertrag als nationalen Alleingang rügt. Auch netzpolitik.org spricht von einer nationalen Extrawurst. Rechtsanwalt Jan Kalbhenn schreibt dagegen im Social Media Watchblog (kostenpflichtig) von einer europa- und weltweiten Vorreiterrolle und auch unser Lars haben den Vertrag eher begrüßt.

„Mein“ Thema der Woche ist einmal mehr Datenschutz, diesmal im Zusammenhang mit der Corona Warn App und der elektronischen Patientenakte. Von vielen Politikern, beispielweise Winfried Kretschmann und Markus Söder, hört man dieser Tage die Forderung, den Datenschutz in und rund um die Corona Warn App aufzuweichen, damit diese einen höheren Wirkungsgrad in der Pandemiebekämpfung erziele. Ein Argumentationsstrang, den man dabei oft hört (und der mich etwas erregt): Bürger:innen gäben ihre Daten ja auch einfach so an Facebook, Google, Amazon und Co. Dann könnten sie diese auch für den quasi guten Zweck der Pandemiebekämpfung zur Verfügung stellen. Ein bisschen einfach diese Pseudoargumentation.

Google und Facebook haben meine Daten – warum nicht auch die Corona Warn App?

Viele Datenschützer halten natürlich dagegen. Der ehemalige Datenschutzbeauftragte Peter Schaar weist darauf hin, wie wichtig das Thema Datenschutz für die Akzeptanz von Corona Warn Apps sei. Hier verzeichne die deutsche Lösung die höchsten Download-Zahlen.

Unterdessen hat auch der aktuelle Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber erneut in diese Kerbe geschlagen. Er schreibt von einer steilen These, die meist nicht belegt sei. Corona-Bekämpfungsmaßnahmen gelängen nur dann, wenn ein ausreichend großer Teil der Bevölkerung sie freiwillig akzeptierten. Datenschutz erzeuge das notwendige Vertrauen in die Maßnahmen.

Apropos Vertrauen: Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) hat gerade untersucht, was Deutsche, Schweizer und Österreicher daran hindert, die jeweiligen Apps zu installieren. Demzufolge haben 31 Prozent der Deutschen trotz besagten Datenschutzes immer noch genau dort Bedenken. Und 21 Prozent der Befragten fürchten Überwachung. Weitere Details hier auf heise online.

Peter Schaar weist in seinem Beitrag – wie viele andere – auf mögliche und notwendige Erweiterungen der deutschen Corona Warn App wie einer besseren Erkennung von Infektionsclustern und das Versenden entsprechender Warnungen an Nutzer, der tieferen Integration in die Test-Infrastrukturen oder auch der Möglichkeit, freiwillig ein Kontakttagebuch zu führen. Den Vorschlag, einfache Armbänder zu entwickeln, die die Funktionalität der Corona Warn App auch Personen, die kein Smartphone haben. zur Verfügung stellt, finde ich übrigens sehr charmant. Fragt sich nur, wie kurzfristig das ginge.

Ist Datenschutz immer absolut oder kann es Zwischenschritte geben?

Kann und sollte man bei der Corona Warn App eine klare Haltung bezüglich des notwendigen Datenschutzes haben, so stellt sich mir diese Frage beim Thema der elektronischen Patientenakte anders. Die Akte soll ja jetzt zum 1. Januar 2021 für alle gesetzlich Versicherten eingeführt werden. Jedoch haben hier Datenschützer wie Ulrich Kelber Bedenken. Er warnt vor der Version 1.1. der elektronischen Patientenakte, die nicht DSGVO-konform sei. Erst die Version 2.0, die für Anfang 2022 geplant ist, soll dann den notwendigen umfassenden Datenschutz auch für potentiell stigmatisierende Informationen bieten. Im Beitrag von heise online wird gemunkelt, dass der Bundesdatenschutzbeauftragte dier Version 1.1. stoppen könnte.

Und genau hier bin ich gespalten, gerade auch aus meiner Perspektive als Patient, der erlebt hat, wie heute noch immer Informationen zwischen Ärzten und Krankenhäusern ausgetauscht werden: per Fax, Telefon und DVD. Hier sei auch nochmals auf den Podcast des Handelsblattes mit Dr. Jens Baas verwiesen. In #9vor9 habe ich deshalb auch die Frage gestellt, ob man trotz der Bedenken die Pateintenakte genehmigen und nutzen solle mit dem klaren Versprechen, dass zum 1.1.2022 der umfassende Datenschutz realisiert wird. Darf man also die elektronische Patientenakte (ePA) quasi als bundesweiten Feldtest betreiben, wohl wissentlich, dass es noch Schwächen gibt?

Ich möchte eine elektronische Patientenakte, damit ich besser behandelt werde

Ich bin hier bei TK-Chef Jens Baas und dem Gebot, dass ich als Patient:in der Nutzung meiner Daten in der ePA (und darüber hinaus anonymisiert zum Beispiel für Forschung) explizit zustimmen muss. Und ich glaube, dass wir auch beim Datenschutz Zwischenlösungen, auch einmal statt schwarz-weiß einen Hellgrauwert akzeptieren müssen, solange dann weiß gewaschen wird. Oder gibt es nur den absoluten Datenschutz. Anders herum: Datenschutz sollte und darf kein totaler Roadblocker und endloser Verzögerer oder Bremser für Digitalisierung sein. Hier sollten durchaus Zwischenschritte möglich sein, solange das Ziel des sauberen Datenschutzes nicht nur im Visier bleibt, sondern realisiert wird. Hier spielen Datenschützer für mich die wichtige Rolle des Aufpassers, aber eben nicht des Blockierenden. Vielleicht trügt ja auch mein Eindruck, aber im Bereich Gesundheitswesen wünsche ich mir aus ganz persönlichem Interesse als Patient die bessere Nutzung meiner Daten, die mir gehören, damit ich besser behandelt werde.

Und natürlich gibt es #9vor9 auch wieder als Podcast auf den bekannten Plattformen und hier im Netz.

(Stefan Pfeiffer)

75 Prozent unbekannt: Erst wenn wir wissen, wo Infektionsherde sind, erst dann können wir gezielter steuern und lockern

2. November 2020 Posted by Stefan Pfeiffer

Gibt es denn noch ein anderes Thema außer Corona? Wohl eher nicht. Und das liegt aus meiner Sicht auch an einer gefährlichen Mixtur von Unvernunft, Dummheit, Ignoranz, Randale, Polizeifeindlichkeit, auf-nichts-verzichten-wollen und ich habe bestimmt das ein oder andere vergessen. Beim Doc habe ich dann gezwitschert – und man verzeihe mir den Typo_ „Ich habe gerade den Eindruck, dass 15 – 20 % der (deutschen) Bevölkerung den Wellenbrecher torpedieren und alle weiter in die braune Masse reiten.

Und es ist eben keine homogene Gruppe, wie man dem Newsletter von Captain Cork (ein Newsletter rund um Wein) entnehmen kann:

„Der Captain flanierte heute durch seinen Kiez (Berlin-Charlottenburg) und traute seinen Augen nicht. Da saßen junge, gut gekleidete Leute dicht an dicht in den engen Lokalen an der trendigen Kantstraße und freuten sich des Lebens. Von wegen bildungsferne Corona-Ignoranten in den Problembezirken. Der Wahnsinn findet mitten im klimabewegten und iphonebewehrten Fortschrittsmilieu statt. Ähnliches berichtet auch mein Mitverkoster, Journalist und Buchautor Rainer Balcerowiak, aus seinem Kiez (Moabit). Ich zitiere aus Rainers Facebook-Post: Die türkischen und arabischen Cafés sind rappelvoll. Abstandsregeln gelten hier wohl nicht, weder drinnen noch draußen. In und vor allem vor den hippen Cafés in den Seitenstraßen sieht es nicht viel besser aus. Und von der seit gestern geltenden Maskenpflicht auf der Turmstraße scheint niemand etwas gehört zu haben.“

💀😷🙈 Irrsinn vor der Sperrstunde 💩😷🙀 – Captain Cork, VINOLetter, 1.11.2020

Und der Wahnsinn und der Hass ist nicht weit weg, eben nicht nur an der Hauptwache in Frankfurt, sondern auch „dahoam“:

In Darmstadt-Eberstadt wurde am Samstagnachmittag ein Polizeiwagen mit Knallkörpern beworfen. … Laut einem Polizeisprecher war gegen 17 Uhr der Einsatzzentrale im Polizeipräsidium Südhessen in Darmstadt gemeldet worden, dass in der Kirchtannensiedlung Böller gezündet würden. Als eine Streifenwagenbesatzung eine Gruppe von etwa 100 Personen über Lautsprecher auf Verstöße gegen die Corona-Verordnung hingewiesen habe, sei der Polizeiwagen mit Böllern beworfen worden.

Mit Unterstützung von weiteren Streifenwagenbesatzungen seien daraufhin 23 überwiegend minderjährige Personen vorläufig festgenommen worden. Bei einer Person fanden die Beamten Knallkörper. Alle Personen wurden nach Feststellung der Identitäten wieder nach Hause entlassen. Die Beamten des Streifenwagens wurden nicht verletzt. Die Polizei ermittelt nun wegen des Verdachts des Landfriedensbruchs.

Randale in Frankfurt und Darmstadt | Rhein-Main

Dazu Dirk Roebers:

Mein Gefühl sagt mir, dass wir unsere Chance verspielen, die Welle zu brechen, wir die Zahlen vielleicht durch die Einschränkungen der kommenden 4 Wochen runter bekommen, es aber danach wieder zu einem Swing-back kommen wird. Eine endlose Geschichte, weil es an Disziplin und Einsicht fehlt? Ich kann Künstlerinnen und Künstler verstehen, ich kann Sportlerinnen und Sportler verstehen. Ich verstehe die Existenzängste der Selbständigen und vieler anderer, der Restaurant- und Kneipenbesitzer:innen. Aber ich sehe die Alternative nicht.

Australien scheint die Pandemie durch einen monatelangen Lockdown in den Griff bekommen zu haben. Es steht zu befürchten, dass wir vor uns hin wurschteln und wieder schneller lockern werden. Auch hier gibt es den Kantönligeist genannt Bundesländerli – und Wahlkampfgeist. Wie findet man die Balance zwischen vielleicht berechtigter Kritik an einzelnen Punkten der Einschränkungen und einer andererseits notwendigen Eindämmung der Ansteckungszahlen? Wie verhindert man wieder einen Flickenteppich an Regelungen und zu schnelle Lockerungen?

Nochmals zur Erinnerung:

  1. Wir müssen schauen, dass wir die Intensivstationen und die Krankenhäuser nicht überfordern. Das ist eine der wesentliche Parameter, vielleicht der wichtigste Parameter.
  2. Wir wissen bei 75 Prozent derjenigen, die sich anstecken nicht, wo sie sich anstecken. Wie viele stecken sich wirklich in Restaurants, im Nahverkehr, in Fitnessstudios, in Theater und Kinos oder in Schulen und Kitas an?

Die hohe Dunkelziffer macht es schwierig, gezielt Beschränkungen einzuführen. Genau deshalb gibt es eine Gießkanne von Einschränkungen. Und offensichtlich sind wir in der Nachverfolgung derzeit überfordert. Hier muss einfach durch ein Bündel von Massnahmen von der Corona-Warn-App, die jeder nutzen sollte, bis hin zu einer vernünftigen Digitalisierung der Gesundheitsämter und Praxen eine Menge passieren. Erst wenn wir wissen, wo Infektionsherde sind, erst dann können wir gezielter steuern, finde ich. Dafür scheint bei großen Teilen der Bevölkerung das Verständnis zu fehlen.

(Stefan Pfeiffer)

Bild von J Garget auf Pixabay

Digitalthemen bei #9vor9: US-Justizminiserium versus Google – Und die Corona-Warn-App hilft doch (hier und da)

27. Oktober 2020 Posted by Stefan Pfeiffer

Und heute waren wir erstmals mit #9vor9 gleichzeitig live auf LinkedIn, auf YouTube und Twitter. Geht doch, selbst für einen Nicht-Techniker wie mich. Aber viel wichtiger. Was waren denn unsere Digitalthemen der Woche? Lars hat die Kartellklage des US-Justizministeriums gegen Google auf der Agenda. Die Juristen werfen Google vor, wettbewerbsfeindlich zu agieren, um sein Monopol in der Internetsuche und die sprudelnden Anzeigen- und Werbeeinnahmen abzusichern.

Google-Suche: Einfach zu gut?

Google argumentiert, man sei einfach so gut und komfortabel. Die Benutzer:innen würden deshalb die Suchmaschine nutzen. Unternehmen wie Mozilla mit den Browser Firefox nehmen dann auch gerne die rund 500 Millionen US-Dollar, auch um die eigenen wirtschaftlichen Probleme zu bewältigen. Aber auch Apple hält gerne die Hand dafür auf, dass Google als Standard auf den iPhones und iPads eingestellt ist. Das soll sich Google zwischen 8 und 12 Millarden US-Dollar kosten lassen, denn wer verändert schon diese Voreinstellungen?

Die Datenmacht von Google und Konsorten wächst

Und die Datenmacht von Google wächst auch deshalb immer weiter, ein Thema, dem sich Viktor Mayer-Schönberger und Thomas Ramge nicht nur in ihrem Kommentar in der Wiener Zeitung widmen. Das führt dann auch zu meinem Digitalthema der Woche:

Die Apps sollen einerseits Menschen informieren, wenn sie mit einem Infizierten Kontakt hatten. Eine Reihe von Staaten möchte aber auch in anonymisierter Form über die Tracing-App Informationen über die regionale Infektionsdynamik bekommen, um viel zielgenauere örtlich und zeitlich begrenzte Maßnahmen zu wählen.

Schumpeters Albtraum – Wiener Zeitung Online

Apple und Google haben die Macht auch über Corona-relevante Daten, Macht über Bewegungsdaten der Nutzer:innen. Und sie geben diese Daten nicht in anonymisierter Form an die europäischen Regierungen und Forschungsinstitutionen heraus, so der Kommentar. Google und Apple pochen – Ihr lest richtig – auf Datenschutz. Genau diese Daten brauche man aber, in diesem Fall zur Bekämpfung der Pandemie. Generell braucht man die anonymisierten Daten, um als Europa wettbewerbs- und innovationsfähig zu sein, so auch die Thesen von Mayer-Schönberger und Ramge in ihrem neuen Buch Machtmaschinen.

[Und ich verlinke hier bewusst nicht zu Amazon. Man kann das Buch auch heutzutage bei seiner Buchhandlung bestellen.]

Johnnnys Sohn hat die Corona-Warn-App geholfen

Ich hatte aber das Thema Corona-Warn-App und Digitalisierung der Verwaltung heute auf der Agenda, weil mich der Beitrag von Johnny Haeusler über die zwei Wochen seiner Familie in Corona-Quarantäne beeindruckt hat. Im Beitrag werden viele Erfahrungen geteilt und Johnny fordert dazu auf, die App zu nutzen, denn …

Ich kann es nicht oft genug betonen: Unser Sohn war völlig symptomfrei. Er hat sich keinen Moment unwohl gefühlt und wäre also nicht auf die Idee gekommen, sich infiziert zu haben. Hat er aber. Allein durch die Warnung in der App hat er auf einen Test bestanden, der dann positiv ausfiel. Hätte ihn die App nicht gewarnt, hätte er keinen Test machen lassen und sich nicht in Quarantäne begeben. Er hätte daher möglicherweise mehr Leute angesteckt.

Die App ist nicht perfekt und könnte noch viele Verbesserungen vertragen, aber korrekt und vor allem von möglichst vielen Menschen benutzt, kann sie enorm hilfreich sein. Bitte benutzt sie.

Erkenntnisse aus zwei Wochen Corona-Quarantäne mit der Familie « SPREEBLICK

Ja, am – laut Söder – „zahnlosen Tiger“ muss weiter entwickelt werden, aber das Beispiel zeigt, dass sie durchaus auch jetzt schon Nutzen bringt, Ansteckungen verhindern kann.

Funktionalität der Corona-Warn-App ausbauen?!

Parallel dazu wird die Diskussion geführt, die Funktionalität der Corona-Warn-App zu erweitern, beispielsweise um ein Kontakttagebuch, das die Nachverfolgung von Kontakten leichter machen soll – ein Problem, mit dem die Gesundheitsämter gerade massiv zu kämpfen haben. Politiker wie Karl Lauterbach fordern, dass es den Nutzer:innen möglich sein solle, weitere Daten freizugeben, um potentiell Infizierte finden und warnen zu können. Was für Daten können das ein? Bewegungsdaten, die momentan nicht übermittelt werden dürfen. Die Diskussion wird sicher weiter gehen.

Pandemiebekämpfung mit Faxlisten und Papier

Zurück zu Johnny Haeussler und seinen Erfahrungen. Neben alle praktischen Tipps fand ich natürlich den Paragraphen zur mangelhaften Digitalisierung in den Gesundheitsämtern erschreckend.

Laut Aussage einer Mitarbeiterin müssen auf dem Gesundheitsamt Berge von Papierlisten abgearbeitet werden, es werden Faxe hin- und hergeschickt und Telefonnummern sind besetzt (oder eben gerade nicht, haha). Der positiv getestete Sohn hat heute, am 22.10., Briefpost vom Gesundheitsamt bekommen mit den Infos zu Quarantäne, in die er sich bis zum 17.10. begeben muss. Also bis fünf Tage vor Erhalt des Briefes. Als der Brief ankam, lag sein Test 14 Tage zurück, das Ergebnis 12 Tage.

Erkenntnisse aus zwei Wochen Corona-Quarantäne mit der Familie « SPREEBLICK

Ganz offensichtlich ist es zumindest in diesem Gesundheitsamt nicht gelungen, in den vergangenen Wochen und Monaten digitaler zu werden. Hat man den etwas ruhigeren Sommer einfach verpennt, auch wenn schon damals vorauszuahnen war, dass die Kontaktverfolgung im Herbst eine große Aufgabe werden könnte? Und ich bin 100 Prozent bei ihm: Hier muss endlich und schnell mehr passieren.

(Stefan Pfeiffer)

Künstliche Intelligenz im Fokus von #9vor9, von Augustus Intelligence und Amthor bis zu den Studien von Bitkom und Deloitte

16. Juni 2020 Posted by Stefan Pfeiffer

Heute wurde es bei #9vor9 schnell künstlich mehr oder weniger intelligent, denn Gunnars Digitalthema der Woche war das Engagement von Philipp Amthor für das Unternehmen Augustus Intelligence, das sich mehr oder weniger um das Thema Künstliche Intelligenz kümmert. Gunnar hatte aber nicht so sehr die Produkte und Käufe von Augustus Intelligence im Blick, sondern vielmehr das doch fragwürdige Engagement des CDU-Jungspunds.

Meine 2 Cents dazu: Ich kann nur immer wieder die Forderung nach einem Lobbyregister bekräftigen, das gerade von der oben genannten Partei boykottiert wird. Es ist wirklich Zeit, hier Transparenz zu schaffen. Und ich habe mir verwundert die Augen gerieben, als ich den hier verlinkten Beitrag zu Philipp Amthor gelesen habe. Der 27 Jahre alte Amthor war oder ist Hoffnungsträger der CDU in Mecklenburg-Vorpommern, eigentlich designierter Spitzenkandidat für die Landtagswahl. „Was für Folgen dieses ‚Kapitel‘ für Amthor haben werden, ist noch nicht abzusehen“, so die FAZ. Zum Thema Augustus Intelligence, möchte ich auf den Beitrag des Handelsblatts verweisen, wonach laut Aussagen von Ex-Managern das Unternehmen kein Produkt, keine Kunden und keine Umsätze habe. Ach ja, der bekannte Theodor zu Guttenberg, Ex-Verteidigungsminister, und Hans-Georg Maaßen sind wohl auch bei dem Unternehmen „engagiert“.

Weniger politisch brisant waren und sind dann die beiden von mir angeführten Studien zum Thema Künstliche Intelligenz. Der Bitkom spricht von einem Umsetzungsproblem beim Thema Künstliche Intelligenz. Zwar schätzen nahezu zwei Drittel der von Bitkom Befragten KI als wichtigste Zukunftstechnologie ein, aber gerade einmal 6 Prozent setzen KI selbst ein und nur jedes fünfte Unternehmen (22 Prozent) plant die KI-Nutzung oder diskutiert darüber. Ein positiveres Bild vermittelt die Studie „State of AI in the Enterprise Survey – 3rd Edition“ und Horizont titelt Deutsche Unternehmen nutzen Künstliche Intelligenz bereits im großen Stil. Allerdings wurden bei der Deloitte-Umfrage auch nur Unternehmen befragt, die KI einsetzen.

Lars hat dann noch den Tweet von Holger Schmidt zum EU Digital Economy and Society Index 2020 hervorgeholt. Deutschland liegt im Mittelfeld und – Überraschung – ist im Bereich E-Government nicht wirklich Spitze. Hier sind Pressemitteilung sowie die deutschsprachigen und deutschen Ergebnisse des Index.

Ach ja, unser Lars hat dann doch die Meldung des heutigen Tages zum Abschluss genannt: Die Corona-Warn-App ist da und sowohl Lars wie auch ich haben sie installiert (auch wenn wir nicht darüber gezwitschert haben).

#9vor9: Lars und ich hosten ab sofort, also live auf unseren Twitter-Konten

Und noch ein Kommentar in eigener #9vor9-Sache: Künftig werden Lars und ich die Sendung hosten, da Gunnar mit seinen vielen Streams einfach überlastet ist. Das bedeutet, dass #9vor9 dann über unsere Twitter-Accounts zu sehen sein wird. Ich hoffe immer noch, dass auch wir beide bald auf LinkedIn live streamen können. Leider haben wir bisher diese Freigabe von LinkedIn nicht bekommen.

(Stefan Pfeiffer)